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Aus dem Nachbargarten schallen fröhliche Stimmen herüber. Dora geht zur Mauer und steigt auf den Stuhl. Ein Fußballspiel ist in vollem Gang. Gote gegen Franzi und Jochen. Die Taktik der Mädchen-Hund-Mannschaft besteht darin, Gotes Beine zu umklammern beziehungsweise sich in seinen Stiefeln zu verbeißen, um ihn am Laufen zu hindern. Im Pulk schieben sie sich Richtung Tor, das von zwei Bierkästen markiert wird, wobei der Ball eine Nebenrolle spielt. Laut tönt Franzis Lachen herüber.
Auf einmal begreift Dora, was zwischen Eltern und Kindern ist. Da findet eine Liebe statt, so abgrundtief und grenzenlos, dass sie das Fassungsvermögen des Verstands übersteigt. Auf der Rückseite dieser Liebe wohnt die Angst, einander zu verlieren. Ebenso grenzenlos, ebenso abgrundtief. Das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann. Eine maßlose Übertreibung, ein Unfall der Natur. Vielleicht angemessen für ein Tier, das seine Jungen unter Einsatz seines Lebens verteidigen muss. Aber nicht für Menschen. Ein Tier weiß nichts von der Zukunft. Es läuft nicht herum und fragt sich die ganze Zeit, was als Nächstes passiert. Es kann seine Jungen versorgen und beschützen, ohne Vorstellung von den vielfältigen möglichen Katastrophen, die sie bedrohen. Aber Lebewesen, denen die Evolution ein Bewusstsein verliehen hat, ein Zeitgefühl und das Wissen um die Vergänglichkeit allen Seins, sollten nicht mit derart uferlosen Gefühlen ausgestattet sein. Das ist pervers. Kein Wunder, dass die Menschen immer neurotischer werden.
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