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»Ein Pilger, der das Licht sucht? In diesen Mauern?«
Matteo fuhr herum. Neben ihm stand ein Mann, in ein schwarzes Mönchsgewand gehüllt. Sein Gesicht war schmal, die Augen tief in ihren Höhlen liegend, aber sie glühten in einem merkwürdigen Widerschein, als ob in ihnen ein unnatürliches Feuer brannte. Matteo zuckte flüchtig zusammen, nicht nur wegen der plötzlichen Erscheinung des Fremden, sondern auch wegen der Kühle, die scheinbar von ihm ausging.
»Wer seid Ihr?«, fragte Matteo zögernd.
»Mein Name ist Hesperus«, antwortete der Mönch und lächelte. Es war ein Lächeln, das sein Gegenüber nicht beruhigte, sondern vielmehr weiteres Unbehagen in ihm auslöste.
»Ich möchte Euch kurz durch das Kloster führen, um Euch zu zeigen, wo Ihr hier seid. Wie lautet doch gleich Euer werter Name, Wanderer?«
»Mein Name ist Matteo, Bruder,« antwortete er zögernd, während er versuchte, sich an den scharfen Wind zu gewöhnen, der ihm ins Gesicht blies. Hesperus neigte sanft den Kopf, ein dünnes Lächeln spielte auf seinen Lippen, doch die Kälte in seinen Augen ließ Matteo fahrig werden.
»Ah, Matteo, ein wohlklingender Name für einen Wanderer, der sich hierher verirrt hat,« sagte Hesperus, wobei seine Stimme in einem merkwürdigen, fast spöttischen Tonfall schwang. »Folgt mir, mein lieber Matteo, ich werde Euch zeigen, wie dieses Kloster aufgebaut ist – damit Ihr wisst, wo Ihr Euren frommen Pflichten nachkommen könnt.« Das letzte Wort glitt ihm beinahe wie ein Hohn über die Lippen, doch Matteo war sich nicht sicher, ob es nur seine eigene Nervosität war, die ihn das spüren ließ.
Hesperus führte ihn über den Klosterhof, und während sie zwischen den bejahrten, moosbewachsenen Mauern hindurchgingen, begann der Mönch mit leiser Stimme zu sprechen, als ob er eine alte Geschichte zum Besten gab.
»Hier, gleich links, seht Ihr das Refektorium,« erklärte er und deutete mit einer eleganten, aber kraftlosen Bewegung auf das lange, steinerne Gebäude. »Dort nehmen wir unsere Mahlzeiten ein. Nun, wenn Ihr Pech habt, vielleicht auch einmal eine zu viel,« sagte Hesperus, ein schattenhaftes Lächeln auf seinen Lippen. »Aber wer könnte der Völlerei widerstehen, nicht wahr? Wenn es doch alles so reichlich ... bescheiden ist.«
Matteo sah zu dem Gebäude, das von der Zeit gezeichnet war, mit Rissen in den Mauern und einer Trauer, die sich über das alte Holz der Fensterrahmen gelegt hatte. Das Refektorium strahlte keine Wärme aus, nicht die Art von Ort, die er sich als Speisesaal der Mönche vorgestellt hatte. Der Ordensbruder schritt weiter voran und zog Matteo mit einem leisen, sarkastischen Lachen hinter sich her.
»Und hier, auf der anderen Seite, seht Ihr die Schlafzellen der Brüder.« Hesperus Stimme hatte einen fast melancholischen Klang, doch Matteo spürte, dass es ihm an aufrichtiger Trauer mangelte.
»Still, friedlich – zumindest auf den ersten Blick. Natürlich wisst Ihr nicht, welche Träume einen in der Dunkelheit dieses Ortes heimsuchen können.« Er hielt inne und sah Matteo aus dem Augenwinkel an, als ob er seine Reaktion prüfen wollte. »Es sind die Träume, die einen Mann in den Wahnsinn treiben, wenn er zu lange auf der Schwelle zwischen den Welten verweilt, Matteo. Aber, keine Sorge, der Schlaf der Gerechten wird Euch sicher sein.« Seine Augen glitzerten kurz, bevor er sich wieder abwandte.
Matteo lief ein Schauer über den Rücken, doch er zwang sich, Hesperus weiterhin zu folgen.
»Dort drüben ist die Bibliothek.« Hesperus deutete auf einen weiteren Flügel des Klosters, wo die hohen Fenster in einem blassen, gespenstischen Licht glitzerten. »Wissen, Matteo, das ist das Herz unserer Arbeit hier. Aber nicht jedes Wissen ist für jedes Auge bestimmt.« Ein Funkeln trat in seine Augen, und seine Stimme senkte sich zu einem gefährlichen Flüstern. »Manchmal findet man dort Bücher, die man besser nicht gelesen hätte. Wissen kann eine schwere Last sein, nicht wahr?«
Matteo spürte, wie sich eine eisige Kluft in seinem Inneren auftat, doch er sagte nichts.
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