Ein Wort Quotes

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»Eines Tages«, sagte sie, »fange ich Träume ein wie Schmetterlinge.« »Und dann?«, fragte er. »Lege ich sie zwischen die Seiten dicker Bücher und presse sie zu Worten.« »Was, wenn jemand immer nur von dir träumt?« »Dann sind wir beide vielleicht schon Worte in einem Buch. Zwei Namen zwischen all den anderen.«
Kai Meyer (Arcadia Awakens (Arcadia, #1))
Es sollte echt ein Wort für dieses Gefühl geben“, sagte sie. „So was wie Euphancholie. Einerseits zerreißt’s dich vor Glück, gleichzeitig bist du schwermütig, weil du weißt, dass du was verlierst oder dieser Augenblick mal vorbei sein wird ... Dass alles mal vorbei sein wird.
Benedict Wells (Hard Land)
Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.
Johann Wolfgang von Goethe
Ein Wort Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen erkanntes Leben, jäher Sinn, die Sonne steht, die Sphären schweigen, und alles ballt sich zu ihm hin. Ein Wort - ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf, ein Sternenstrich - und wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und Ich.
Gottfried Benn
Das habe ich gelernt: Liebe ist ein Wort, das du nur mit blutroter Tinte schreiben solltest. Liebe treibt dich dazu, die seltsamsten Dinge zu tun. Sie lässt dich regenbogenfarbene Bonbons verteilen, sie lässt dich in roten Schuhen durch die Straßen tanzen, und sie schreckt nicht davor zurück, dich nachts mit blutenden Händen Gräber in paradiesische Gärten hacken zu lassen. Liebe schlägt dir tiefe Wunden, aber auf eine ihr eigene Art heilt sie auch deine Narben, vorausgesetzt, du vertraust ihr und gibst ihr die Zeit dazu. Meine Narben werde ich nicht anrühren. Ich werde neue Wunden davontragen, noch ehe die alten verheilt sind, und ich werde anderen Menschen Wunden zufügen. Jeder von uns trägt ein Messer." (S.456f.)
Andreas Steinhöfel
Es gibt allerlei Arten, einen Menschen zu morden oder wenigstens seine Seele, und das merkt keine Polizei der Welt. Dann genügt ein Wort, eine Offenheit im rechten Augenblick. Dann genügt ein Lächeln. Ich möchte den Menschen sehen, der nicht durch Lächeln umzubringen ist oder durch Schweigen.
Max Frisch (I'm Not Stiller)
Je mehr Kultur, desto weniger Freiheit, das ist ein wahres Wort.
E.T.A. Hoffmann (The Life and Opinions of the Tomcat Murr)
Ich hatte das gefühl, er hat in der Vergangenheit gelebt, eingeschlossen in seinen Erinnerungen, ganz für sich, für seine Bücher und in ihnen drin, wie ein Luxusgefangener." Sie sagen das, als beneiden sie ihn." Es gibt schlimmere Gefängnisse als Worte, Daniel.
Carlos Ruiz Zafón (The Shadow of the Wind (The Cemetery of Forgotten Books, #1))
Einerseits geben Wörter Sinn, andererseits sind sie tauglich, Unsinn zu stiften. Wörter können heilsam oder verletzend sein. Das Wort als Waffe. Sich spreizende, auftrumpfende, mit Bedeutung gemästete Wörter. Manche sind Zungenbrecher, andere lassen erkennen, verschleiern, leugnen ab, decken zu oder auf. Oft liegen winzige Wahrheiten unter Wortlawinen begraben. Aus Wortstreit entspringen Schimpfwörter. Flüche, Beschwörungen, Zaubersprüche bannen, rufen herbei, lassen wahre Wunder geschehen.
Günter Grass (Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung)
Eigenartig wie das Wort eigenartig es fast als fremdartig hinstellt eine eigene Art zu haben
Erich Fried
Aus den fernsten Weiten des Weltraums betrachtet, ist die Erde nicht größer als ein Staubkorn. Bedenke das, wenn du das nächste Mal das Wort "Menschheit" schreibst.
Paul Auster (Travels in the Scriptorium)
Du wirst schon sehen. Irgendwann. Hinter der Nacht, in deiner Stille. Irgendwo. Findet dich ein Wort. An das du dich halten kannst.
Lilly Lindner (Bevor ich falle)
Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht ein wenig närrisch (...)
Hermann Hesse (Siddhartha)
Das, was wirklich ist, kann man mit Wörtern ohnehin immer nur annähernd beschreiben; ein Wort ist eben nie genau die Sache selber.
Hans Bemmann (Erwins Badezimmer. Die Gefährlichkeit der Sprache.)
Ein Kennzeichen davon, daß man noch auf eigene Werke vertraut, ist, daß sich bei einem ‎Fehltritt die Hoffnung vermindert.‎ Worte der Weisheit HIKAM ‎ von Ibn Ata'Allah al-Iskandari
Annemarie Schimmel
Die meisten Lügen sind wahr und spinnen sich von ganz allein, kaum jemand kannte diese Wahrheit besser als Colin Darcy. Wenn man erst einmal der Melodie der Worte zu lauschen beginnt, dann pfeift man sie bald selbst. Und wenn Lügen wie kunstvolle Lieder sind, dann gehörte Helen Darcy, Colins Mutter, zu jenem seltenen Menschenschlag, der allzeit eine beschwingte Melodie auf den Lippen trägt.
Christoph Marzi (Fabula (Fabula, #1))
Aber eins weiß ich mit Sicherheit: Dass wir das Leben führen, für das wir uns entscheiden. Dass wir so tief fallen, wie wir es zulassen, dass wir so weit sehen, wie wir es wagen, die Augen zu öffnen. Und dass die Worte, die wir sprechen, nur so lange weiterklingen, wie wir ihnen Nachdruck verleihen.
Lilly Lindner (Splitterfasernackt)
Obwohl Ollowain die Burg schon hunderte Male gesehen hatte, berührte ihr Anblick ihn stets aufs Neue. Es war ein Gefühl, wie es sonst nur Musik in ihm erwecken konnte, das traurige Lied einer Flöte vielleicht oder melancholisches Harfenspiel. Ein Schmerz, der sich nicht in Worte fassen ließ, süß und durchdringend.
Bernhard Hennen (Elfenlicht (Die Elfen, #3))
Es ist unmöglich zu überprüfen, welche Entscheidung die richtige ist, weil es keine Vergleiche gibt. Man erlebt alles unmittelbar, zum ersten Mal und ohne Vorbereitung. Wie ein Schauspieler, der auf die Bühne kommt, ohne vorher je geprobt zu haben. Was aber kann das Leben wert sein, wenn die erste Probe für das Leben schon das Leben selber ist? Aus diesem Grund gleicht das Leben immer einer Skizze. Auch „Skizze“ ist nicht das richtige Wort, weil Skizze immer ein Entwurf zu etwas ist, die Vorbereitung eines Bildes, während die Skizze unseres Lebens eine Skizze von nichts ist, ein Entwurf ohne Bild. Einmal ist keinmal, sagt sich Tomas. Wenn man ohnehin nur einmal leben darf, so ist es, als lebe man überhaupt nicht.
Milan Kundera (Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins)
Die Erinnerung ist zuerst wie eine Umarmung und wird danach zu einem harten Schlag ins Gesicht, bevor sie in das Nichts verschwindet und man sich der nächsten hingibt. Aber selbst wenn man es wüsste, würde man sich erinnern. Weil dieser kurze Moment des Glücks jeden Schmerz wert ist.
Ava Reed (Die Stille meiner Worte)
Wenn mir Musik die Seele bewegte, dann verstand ich ohne Worte doch alles, fühlte in der Tiefe alles Lebens reine Harmonie und glaubte zu wissen, daß ein Sinn und schönes Gesetz in allem Geschehen verborgen sei. Wenn es auch eine Täuschung war, ich lebte doch darin und war darin beglückt.
Hermann Hesse (Gertrude)
Es ist etwas Besonderes um Menschen, die am gedruckten Wort Interesse haben. Sie sind eine eigene Spezies: kundig, freundlich, wißbegierig – einfach menschlich.
Nathan Pine
»Noch immer unentschieden. Franz«. Vier Worte, eine Autobiographie.
Florian Illies (1913: Der Sommer des Jahrhunderts (1913, #1))
Luca: Du musst eins wissen, Sage. Ich mag die meistne Menschen nicht. Sage: So was Ähnliches hast du schon einmal gesagt. Luca: Aber die Menschen, die ich mag, bedeuten mir alles. bis vor Kurzem gab es auf der ganzen Welt nur vier Leute, die mir wichtig waren. Mein Dad, meine Stiefmutter, April und Gavin. ich habe nicht geplant, dass noch jemand anderes dazukommt. Aber jetzt steht auc hdien Name auf dieser Liste, und das macht es unmöglich für mich, mir keine Sorgen zu machen. Du hast mich einmal gefragt, ob ich wegen Cameron etwas Dummes unternehmen würde, wenn er April zu nahe kommt. Ich habe Nein gesagt, weil Cam ein anständiger Kerl ist. Aber ich habe kein Problem damit, Alan etwas anzutun, wenn der dich zum Weinen bringt. Ein Wort von dir genügt.
Laura Kneidl (Berühre mich. Nicht. (Berühre mich. Nicht., #1))
Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße, wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Café-Terrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätze, Seiten eines immer neuen Buches ergeben.
Franz Hessel (Flaneur in Berlin)
Mit deinen Augen, welche müde kaum von der verbrauchten Schwelle sich befrein, hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein. Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift. Und wie dein Wille ihren Sinn begreift, lassen sie deine Augen zärtlich los ...
Rainer Maria Rilke (The Book of Images)
Ein Buch ist eine Welt, eine fertige Welt, eine Welt mit einem Anfang und einem Ende. Jede Seite eines Buches ist eine Stadt. Jede Zeile ist eine Straße. Jedes Wort ist eine Behausung. Meine Augen ziehen durch die Strasse, öffnen jede Tür, dringen in jede Behausung ein.
Réjean Ducharme (L'avalée des avalés)
Ein Zeichen ist nämlich ein Ding, das bewirkt, dass außer seiner äußeren Erscheinung, die es den Sinnen einprägt, irgendetwas anderes aus ihm selbst im Nachdenken ausgelöst wird.
Augustine of Hippo
Leider kann ich nicht in Worte fassen, wie sehr ich dieses Spiel liebe. Ich könnt ein 1000-seitiges Buch schreiben und es wäre dennoch nicht genug.
H.P. Lovecraft (Повне зібрання прозових творів. Том 3)
Alles im Leben ist eine Brücke – ein Wort, ein Lächeln, das wir dem anderen schenken.
Ivo Andrić
Würdest du gern?", frage ich. "Ja." Ein Wort und tausend Gefühle.
Mehwish Sohail (Like water in your hands (Like This, #1))
Sagen Sie mir ein Wort und trösten mich über meine lange Entfernung von Ihnen…
Johann Wolfgang von Goethe (Correspondence between Goethe and Schiller 1794-1805: Translated by Liselotte Dieckmann (Studies in Modern German Literature))
Odd, the words: ‘while away the time’. How to hold it fast the harder thing. Who is not fearful: where is there a staying, where in all this is there any being? Look, as the day slows towards the space that draws it into dusk: rising became upstanding, standing a laying down, and then that which accepts its lying blurs to darkness. Mountains rest, outgloried be the stars - but even there, time’s transition glimmers. Ah, nightly refuged in my wild heart, roofless, the imperishable lingers. --- Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben! Sie zu halten, wäre das Problem. Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben, wo ein endlich Sein in alledem? - Sieh, der Tag verlangsamt sich, entgegen jenem Raum, der ihn nach Abend nimmt: Aufstehn wurde Stehn, und Stehn wird Legen, und das willig Liegende verschwimmt - Berge ruhn, von Sternen überprächtigt; - aber auch in ihnen flimmert Zeit. Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt obdachlos die Unvergänglichkeit.
Rainer Maria Rilke
Keine Frage, die Kunst des Lesens war etwas, um das sie ihn beneidete. Was musste das für ein Gefühl sein, in fremde Welten einzutauchen, nur mit den Augen und durch das Zusammensetzen einiger kryptischer Zeichen? Buchstaben wurden zu Worten, Worte zu Sätzen, und auf einmal befand man sich in einer fremden Stadt oder einem fremden Land. Ganze Welten ließen sich so binnen eines Wimpernschlags durchqueren.
Thomas Thiemeyer (David und Juna (Das verbotene Eden, #1))
Worte taugen nichts. Ja, manchmal klangen sie wunderbar, aber sie liessen einen im Stich, sobald man sie wirklich brauchte. Nie fand man die richtigen, niemals, aber wo sollte man auch nach ihnen suchen? Das Herz ist stumm wie ein Fish, auch wenn die Zunge sich noch so viel Muehe gibt, ihm eine Stimme zu geben.
Cornelia Funke (Inkspell (Inkworld, #2))
Denn alle Kraft dringt vorwärts in die Weite, Zu leben und zu wirken hier und dort; Dagegen engt und hemmt von jeder Seite Der Strom der Welt und reisst uns mit sich fort: In diesem innern Sturm und äussern Streite Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort: Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, Befreit der Mensch sich, der sich überwindet.
Johann Wolfgang von Goethe
Ich bin unglücklich in meiner Sprache. Wir sagen seit Jahren nur solche Sätze wie: Sie werden sie aufhängen. Wo waren die Köpfe? Man weiß nicht, wo ihr Grab ist. Die Polizei hat die Leiche nicht freigegeben! Die Wörter sind krank. Meine Wörter brauchen ein Sanatorium, wie kranke Muscheln. Es gibt eine Stelle am Ägäischen Meer, wo drei Ströme zusammenkommen. Man bringt Säcke mit Muscheln aus Istanbul, Izmir, Italien dorthin, die im schmutzigen Wasser krank geworden sind. Das saubere Wasser aus den drei Strömen heilt ein paar Monaten die erkrankten Muscheln. Dieses Stück Meer nenne die Fischer Muschelsanatorium. Wie lange braucht ein Wort, um wieder gesund zu werden? Man sagt, in fremden Ländern verliert man die Muttersprache. Kann man nicht auch in seinem eigenen Land die Muttersprache verlieren?
Emine Sevgi Özdamar (Seltsame Sterne starren zur Erde)
Irgendwo hab ich gelesen, dass das letzte Wort auf der Black Box eines jeden abgestürzten Flugzeugs, das Letzte, was der Pilot sagt, wenn er weiß, dass er sterben wird, 'Mama' ist. Wenn dir mit Lichtgeschwindigkeit die ganze Welt und das ganze Leben entrissen wird, ist dieses Wort das Einzige, was dir bleibt.
Tana French (The Likeness (Dublin Murder Squad, #2))
Langsam bekam alles Griff und Glanz. Die Unsicherheit schwand, die Worte kamen von selber und ich achtete nicht mehr so darauf, was ich sagte. Ich trank weiter und spürte, wie die große, weiche Welle herankam und mich erfaßte, wie sich die leere Stunde der Dämmerung mit Bilderen füllte und geisterhaft über den gleichgültigen, grauen Bezirken des Daseins der laulose Zug der Träume wiederauftauchte. Die Wände der Bar weiteten sich, und plötzlich war es nicht mehr die Bar - es war eine Ecke der Welt, ein Winkel der Zuflucht, ein halbdunkler Unterstand, um den ringsumger die ewige Schlacht des Chaos brauste und in dem wir geborgen hockten, rätselhaft zueinandergeweht durch das Zwielicht der Zeit.
Erich Maria Remarque (Three Comrades)
Doch die Erinnerung spielt uns Streiche. Erinnern iat ein anderes Wort für Erfinden, und nichts ist unzuverlässiger.
Ann-Marie MacDonald (Fall on Your Knees)
Das Quietschen von Bettfedern, das Klatschen von Haut auf nackter Haut, das alles war ein biologisches Versprechen, dauerhafter als jedes Ja-Wort.
Chuck Palahniuk (Doomed (Damned, #2))
Die zerstörerischte Waffe ist das Wort, das ein Leben zunichte macht, ohne Blutspuren zu hinterlassen, und dessen Wunden niemals heilen.
Paulo Coelho (Manuscrito encontrado em Accra)
Heim-Weh ist ein schönes Wort.
Monika Held (Sommerkind)
Ein Kommandowort bewegt Armeen; das Wort Freiheit Nationen.
Novalis (Gesammelte Werke)
Wer diese Worte liest - was für ein Bild bekommt er von mir? […] Kein hübsches Bild. Die Worte lügen also, in gewisser Hinsicht jedenfalls. Wie immer.
John Marsden (So Much to Tell You (So Much to Tell You, #1))
Gregor erschrak, als er seine antwortende Stimme hörte, die wohl unverkennbar seine frühere war, in die sich aber, wie von unten her, ein nicht zu unterdrückendes, schmerzliches Piepsen mischte, das die Worte förmlich nur im ersten Augenblick in ihrer Deutlichkeit beließ, um sie im Nachklang derart zu zerstören, daß man nicht wußte, ob man recht gehört hatte.
Franz Kafka (Die Verwandlung)
Das habe ich gelernt: Liebe ist ein Wort, das du nur mit blutroter Tinte schreiben solltest. Liebe treibt dich dazu, die seltsamsten Dinge zu tun. Sie lässt dich regenbogenfarbene Bonbons verteilen, sie lässt dich in roten Schuhen durch die Straßen tanzen, und sie schreckt nicht davor zurück, dich nachts mit blutenden Händen Gräber in paradiesische Gärten hacken zu lassen. Liebe schlägt dir tiefe Wunden, aber auf eine ihr eigenen Art heilt sie auch deine Narben, vorausgesetzt, du vertraust ihr und gibst ihr die Zeit dazu. Meine Narben werde ich nicht anrühren. Ich werde neue Wunden davontragen, noch ehe die alten verheilt sind, und ich werde anderen Menschen Wunden zufügen. Jeder von uns trägt ein Messer. So sind die Regeln, Paleiko.
Andreas Steinhöfel (Die Mitte der Welt)
Ich habe in diesen Tagen viel über Liebe nachgedacht, und darüber, wie ich das Wort hasste und es ständig wieder gebrauchte, und mir fällt ein - eine der vergänglichen Offenbarungen der Schlaflosigkeit - dass wir, ehe wir etwas lieben, uns so etwas wie eine Nachbildung davon machen müssen, ein Erinnerungsgebilde aus flüchtigen Eindrücken und Augenblicken, das alsdann seine äussere, ziemlich langweilige Erscheinung durch eine sternbildhafte Verinnerlichung ersetzt, phosporeszierend, bequem und tragbar und am Ende unempfindlich gegen den rüden Raubbau der Wirklichkeit.
John Updike
Ihm gefiel nicht das, was er las, sondern eher das Lesen an sich, oder besser gesagt, der Prozess des Lesens selbst, wo sich da doch immerzu aus den Buchstaben irgendein Wort ergibt, das manchmal weiß der Teufel was bedeutet. Dieses Lesen wurde gemeinhin im Vorraum auf dem Bett im liegenden Zustand vollzogen, auf der Matratze, die infolge dieses Umstands so hart und fest wie ein Fladen geworden war.
Nikolai Gogol (Dead Souls)
Wüste ist nicht lediglich das, was unsere Vorstellung uns üblich eingibt, sobald wir jenes Wort hören oder lesen, eine riesige weite Sandfläche, ein Meer aus lodernden Dünen, Wüste, wie man sie hier ebenfalls versteht, die gibt es sogar im grünen Galiläa, es sind die nicht bebauten Landstriche, Fluren, in denen keine Menschen wohnen, ohne Zeichen eines fleißigen Tuns. Wüste sagen, heißt sagen, Sie ist es nicht mehr, wenn wir dort sind.
José Saramago (The Gospel According to Jesus Christ)
Es gibt so vieles, was ich nie verstehen kann. Und es gibt so vieles, was ich niemals wissen werde, auch wenn man es mir noch so anschaulich erklärt. Aber eins weiß ich mit Sicherheit: dass wir das Leben führen, für das wir uns entscheiden. Dass wir so tief fallen, wie wir es zulassen, dass wir so weit sehen, wie wir es wagen, die Augen zu öffnen. Und dass die Worte, die wir sprechen, nur so lange weiterklingen, wie wir ihnen Nachdruck verleihen.
Lilly Lindner (Splitterfasernackt)
Iqbal, in seinem Poem "Die Moschee von Cordoba"- ein paar Verse daraus: Stein sei es, Farbe, sei's Ton: Wort sei es, Stimme, sei's Ton - Jegliches Wunder der Kunst wächst nur aus Herzensblut - seht! Ja, durch den Tropfen von Blut wird selbst der Felsen zum Herz; Ja, aus dem Herzblut, dem Leid, Lied, Sang und Klang erst entsteht. [aus "Nimm eine Rose und nenne sie Lieder" übersetzte Poesie der islamischen Völker von Annemarie Schimmel, insel Taschenbuch Ausgabe, S. 168]
Muhammad Iqbal
Schon mit Anfang zwanzig hatte ich mich, nach meiner Niederlage gegen die bösartige Ikea-Hollywoodschaukel, in einer Therapie mit dem Unterschied von Drive und driven auseinandergesetzt. Ich hatte tief hineingeschaut in meine Kindheit und Jugend und wusste seitdem, dass ich zwei Arten von Ehrgeiz in mir trug. Eine helle, lustvolle und eine bedürftige, abhängige. Für diese zwei Arten von Ehrgeiz kennt die deutsche Sprache keine unterscheidenden Worte, und doch sind sie grundverschieden.
Judith Holofernes (Die Träume anderer Leute)
Worte sind die blassen Schatten vergessener Namen. Und wie Namen Macht innewohnt, wohnt auch Worten Macht inne. Mit Worten kann man im Geist der Menschen Feuer entfachen. Mit Worten kann man selbst dem hartherzigsten Menschen Tränen entlocken. Es gibt sieben Worte, die einen Menschen dazu bringen, dich zu lieben. Und es gibt zehn Worte, mit denen man den Willen selbst des stärksten Mannes brechen kann. Aber ein Wort ist weiter nichts als die bildliche Darstellung eines Feuers. Ein Name ist das Feuer selbst.
Patrick Rothfuss (The Name of the Wind (The Kingkiller Chronicle, #1))
Am Schluß eines damals verfaßten, auch ins Englische übersetzten 'Lebensabrisses' hatte ich im halb spielerischen Glauben an gewisse Symmetrien und Zahlenentsprechungen in meinem Leben die ziemlich bestimmte Vermutung geäußert, daß ich im Jahre 1945, siebzigjährig, im selben Alter also wie meine Mutter, das Zeitliche segnen würde. Das ins Auge gefaßte Jahr, sagte der Mann, sei so gut wie abgelaufen, ohne daß ich Wort gehalten hätte. Wie ich es vor der Öffentlichkeit rechtfertigen wolle, daß ich immer noch am Leben sei.
Thomas Mann (The Story of a Novel: The Genesis of Doctor Faustus)
Einer der Altmeister des englischen Romans, William Makepeace Thackeray, nannte das Wort Finis am Ende eines Erzählwerkes einmal ein "trübsinniges Wort". Das mag zutreffen, wenn man lediglich meint, von einer liebgewordenen, vertrauten Umgebung Abschied nehmen zu müssen. Meist ist jedoch das weiterwirkende Erlebnis - die Auseinandersetzung mit der vermittelten Weltsicht -, das uns ein Kunstwerk lieb und wert macht, gewissermaßen das subjektive "Weiterschreiben", wenn sich der Vorhang über das fiktive Geschehen gesenkt hat.
Klaus Udo Szudra
Die alberne Figur, die ich mache, wenn in Gesellschaft von ihr gesprochen wird, solltest du sehen! Wenn man mich nun gar fragt, wie sie mir gefällt?—gefällt! Das Wort hasse ich auf den Tod. Was muß das für ein Mensch sein, dem Lotte gefällt, dem sie nicht alle Sinne, alle Empfindungen ausfüllt!
Johann Wolfgang von Goethe (The Sorrows of Young Werther)
Die Herren der Information haben die Poesie aus dem Auge verloren, wo Worte eine Bedeutung haben können, die sehr von der im Lexikon angegebenen abweicht, wo der metaphorische Funke der Dechiffrierfunktion immer einen Sprung voraus ist, wo eine andere, unerwartete Interpretation stets möglich ist.
J.M. Coetzee (Tagebuch eines schlimmen Jahres)
Ein Nachteil der maschinellen Aufschreibesysteme ist natürlich der sinkende Respekt vor dem einzelnen Wort. Früher, als man noch auf Marmor angewiesen war, um seine Gedanken zu verewigen, ging man sparsamer damit um. Um einen Roman in Marmor zu meißeln, müßte man schon ein Heer von Sklaven beschäftigen.
Jochen Schmidt
Wenn man die Philosophen von der Wirklichkeit reden hört, so ist das oft ebenso irreführend, wie wenn man im Schaufenster eines Trödlers auf einem Schild die Worte liest: Hier wird gerollt. Wollte man mit seiner Wäsche kommen und sie rollen lassen, so wäre man angeführt. Der Schild hängt nur zum Verkauf da.
Søren Kierkegaard
Einen Stein kann ich lieben, Govinda, und auch einen Baum oder ein Stück Rinde. Das sind Dinge, und Dinge kann man lieben. Worte aber kann ich nicht lieben. Darum sind Lehren nichts für mich, sie haben keine Härte, keine Weiche, keine Farben, keine Kanten, keinen Geruch, keinen Geschmack, sie haben nichts als Worte. Vielleicht ist es dies, was dich hindert, den Frieden zu finden, vielleicht sind es die vielen Worte. Denn auch Erlösung und Tugend, auch Sansara und Nirwana sind bloße Worte, Govinda. Es gibt kein Ding, das Nirwana wäre; es gibt nur das Wort Nirwana.« Sprach Govinda: »Nicht nur ein Wort, Freund, ist Nirwana. Es ist ein Gedanke.«
Hermann Hesse (Siddhartha)
Vorbei! ein dummes Wort. Warum vorbei? Vorbei und reines Nicht, vollkommnes Einerlei. Was soll uns denn das ew'ge Schaffen, Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen? Da ist's vorbei! Was ist daran zu lesen? Es ist so gut als wär es nicht gewesen, Und treibt sich doch im Kreis als wenn es wäre. Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.
Johann Wolfgang von Goethe (Faust)
Worte! Bloße Worte! Wie schrecklich sie waren! Wie klar und lebendig und grausam! Man konnte ihnen nicht entrinnen. Und doch, welch verborgener Zauber lag in ihnen! Sie schienen imstande, formlosen Dingen eine greifbare Gestalt zu geben und eine eigene Musik zu besitzen, so süß wie die einer Gambe oder Laute. Bloße Worte! Gab es etwas, das so wirklich war wie Worte?
Oscar Wilde
Miss S. bevorzugte das pathetische Wort ‚land’ gegenüber dem üblichen ‚country’. ‚This land …’ In diesem Sinne gebraucht, ist es zwar nicht direkt die Sprache des Wahnsinns, aber doch der Besessenheit. Zeugen Jehovas sprechen ständig von ‚this land’, ebenso die National Front. Land ist gleich country plus Vorsehung – ein Land im Angesicht Gottes. Auch Mrs. Thatcher sagt ‚this land’.
Alan Bennett (Die Lady im Lieferwagen)
All diese Sterne mit ihren Planeten sind mein. Dieser ganze unfassbare Roman ist der Bereich, in dem mein Wille geschieht und mein Wort Gesetz ist. Aber Macht, wirkliche Macht ist niemals Macht über Dinge, nicht einmal über Sonnen und Planeten. Macht ist immer nur Macht über Menschen. Und meine Macht ist nicht nur die Macht der Waffen und der Gewalt; ich habe auch Macht über die Herzen und die Gedanken der Menschen. Billionen und aberbillionen von Menschen leben auf diesen Planeten, und sie gehören alle mir. Keiner von ihnen verbringt einen Tag ohne einen Gedanken an mich. Sie verehren mich, sie lieben mich; ich bin der Mittelpunkt ihrer aller Leben. Er sah Jubad an. Niemals zuvor war ein Reich größer als das meine. Niemals zuvor hat ein Mensch mehr Macht gehabt als ich.
Eschbach Andreas
Ich gehe rüber zur Tauentzienstraße, ein Pappschild unter dem Arm, das ich am Europacenter anschlage wie einst Luther seine Thesen in Wittenberg. Dort stehe ich, und kann nicht anders. Ein paar Leute bleiben stehen und sehen sich an, was das auf dem Pappschild steht. "Das Romanische Café" steht da, "ist die Stätte der höchsten intellektuellen Verfeinerung und der tiefsten sozialen Ignoranz; die Stätte anekdotische Selbstbefriedigung, wo Aphorismen aufeinander Jagd machen, kopulieren und kleine Witze in die Welt setzen. Das Romanische Café ist die Stätte, wo jedes normale Wort in den Verdacht gerät, dem Unterbewusstsein einer Amöbe entsprungen zu sein; die Stätte, wo Friedrich Gundelfinger den Finger verlor und daher nicht auf den jungen Journalisten namens Joseph Goebbels deuten konnte, der mit bösem Lächeln und einem kleinen Notizblock auf den Knien zu Füßen des zelebrierten und entfingerten Gundolf saß. Das Romanische Café ist die Stätte, wo Pegasus mit Aperçus gefüttert wurde, bis er nicht mehr krauchen konnte…" Ein Herr mit Pfeife bleibt eine Weile vor dem Pappschild stehen. "Das mit Goebbels ist mir neu". Sagt er und bläst mir Pfeifenrauch ins Gesicht.
Peter Fürst (Schnitzeljagd Berlin--New York (German Edition))
Unsere Zivilisation ist durch das Wort Fortschritt charakterisiert. Der Fortschritt ist ihre Form nicht eine ihrer Eigenschaften daß sie fortschrietet. Sie ist typisch aufbauend. Ihre Tätigkeit ist es ein immer komplizierteres Gebilde zu konstruieren. Und auch die Klarheit dient doch nur wieder diesem Zweck und ist nicht Selbstzweck. Mir dagegen ist die Klarheit, die Durchsichtigkeit, Selbstzweck.
Ludwig Wittgenstein (Culture and Value)
Standen Sie jemals in einer Buchhandlung, haben sich verstohlen umgesehen und dann das Ende eines Buches von Agatha Christie aufgeschlagen, um zu sehen, wer es getan hat und wie? Haben Sie jemals das Ende eines Horrorromans aufgeschlagen, um festzustellen, ob der Held es aus der Dunkelheit ins Licht schafft? Wenn Sie das jemals getan haben, dann halte ich es für meine Pflicht, Ihnen drei schlichte Worte zu sagen: SCHÄMEN SIE SICH!
Stephen King (Danse Macabre)
Betrachtet einmal das Volk, das von ergebenen Patrioten geschützt wird. Die Patrioten fallen im blutigen Kampfe oder im Kampfe mit Hunger und Not; was fragt das Volk danach? Das Volk wird durch den Dünger ihrer Leichen ein "blühendes Volk"! Die Individuen sind "für die große Sache des Volkes" gestorben, und das Volk schickt ihnen einige Worte des Dankes nach und - hat den Profit davon. Das nenn' Ich Mir einen einträglichen Egoismus.
Max Stirner
„Hold all and wait. The questions that are in one’s mind will be worked out eventually without a word from the Master. The light becomes stronger and the darkness vanishes in the reorganization of the inner man and his thinking processes and habits. Do not make the mistake of trying to fit the teachings of ECK into the old ways of thinking. Drop all and start over again.” Shariyat-Ki-Sugmand, Book I, Page 96d „Halten Sie mit allem inne und warten sie. Die Fragen, die sich im Verstand aufwerfen, werden schließlich ohne ein Wort vom Meister ausgearbeitet werden. Das Licht ist stärker, und die Dunkelheit verschwindet in der Reorganisation des inneren Menschen und seiner Denkprozesse und –gewohnheiten. Machen Sie nicht den Fehler, zu versuchen, die Lehre von ECK in die alten Denkweisen einzufügen. Lassen Sie alles fallen und fangen Sie neu an.“ Shariyat-Ki-Sugmand, Buch I, Seite 112f
Paul Twitchell
Du bist Tariq", wiederholt sie die Worte, die mir Maya letztens gesagt hat. "Du hast einen tollen Musikgeschmack, bist loyal, ruhig, denkst zu viel nach, bist immer für alle da und kannst wirklich romantisch sein. Manchmal sogar zu romantisch für meinen Geschmack." Obwohl mir die Beschreibung nicht hundertprozentig zusagt, zucken meine Mundwinkel. "Soll ich ein bisschen runterschalten wegen der Romantik?" "Nein", antwortet sie nur, und ich lächle schwach.
Mehwish Sohail (Like water in your hands (Like This, #1))
Eines Tages sieht man in den Spiegel und sieht anders aus als erwartet. Der Spiegel ist die grausamste Form der Wahrheit. Man sieht nicht aus, wie man wirklich ist. Man wünscht sich, dass das Äußere auch das Innere widerspiegelt und die anderen sofort erkennen, ob man ehrlich, großzügig und nett ist... stattdessen braucht es immer Worte und Taten. Man muss beweisen, wer man ist. Wie schön wäre es, wenn man es nur zeigen müsste. Das würde alles einfacher machen.
Alessandro D'Avenia (Bianca come il latte, rossa come il sangue)
Vielleicht sollten wir den Begriff "Toleranz" neu definieren, denn was besagt er eigentlich? Dass man andere toleriert? Menschen mit anderer Hautfarbe, anderem Glauben, Menschen mit Piercings und Tätowierungen, Frauen mit Kopftuch und Menschen mit anderer sexueller Orientierung? Dabei gibt es doch gar nichts zu tolerieren. Schon indem man das Wort "Toleranz" bemüht, stellt man sich auf eine höhere Ebene als sie, die man toleriert. Toleranz beruht auf einem Überlegenheitsgefühl.
Herman Koch (Dear Mr. M)
Furchtlos entgegnete ihm der Held mit dem nickenden Helmbusch: »Sohn des Peleus, hoffe mich nicht mit Worten zu schrecken, so, als sei ich ein Knabe. Auch ich verstehe vortrefflich, kränkende oder auch frevelhaft prahlende Worte zu sprechen. Du bist tüchtig, ich weiß es, ich bin dir weit unterlegen. Aber der Ausgang des Kampfes liegt im Schoße der Götter: ob ich nicht trotzdem, bin ich auch schwächer, durch Speerwurf dich töte; denn es besitzt auch mein Speer eine stechende Spitze!
Homer (The Iliad)
Der sprachlose Papagei Ein Kaufmann einen Papagei vor Jahren besaß, in Sang und Rede wohl erfahren. Der saß als Wächter an des Ladens Pforte und sprach zu jedem Kunden kluge Worte. Denn wohl der Menschenkinder Sprache kannt er, doch seinesgleichen Weisen auch verstand er. Vom Laden ging nach Haus einst sein Gebieter und ließ den Papagei zurück als Hüter. Ein Kätzlein plötzlich in den Laden sprang, um eine Maus zu fangen; todesbang, flatterte hin und her der Papagei und stieß ein Glas mit Rosenöl entzwei. von seinem Hause kam der Kaufmann wieder und setzte sorglos sich im Laden nieder und stieß das Rosenöl allüberall, im Zorn schlug er das Haupt des Vogels kahl. Die Zeit verstrich, der Vogel sprach nicht mehr. Da kam die Reu´, der Kaufmann seufzte schwer. Raufte sich den Bart und rief: "Weh mir umsponnen ist mit Gewölk die Sonne meiner Wonnenn! Wär mir, da auf den Redner ich den bösen Schlag ausgeführt, doch lahm die Hand gewesen!" Wohl gab er frommen Bettlern reiche Spende, auf daß sein Tier die Sprache wiederfände; umsonst! Als er am vierten Morgen klagend, in tausend Sorgen, was zu machen sei, daß wieder reden mög´sein Papagei, ließ sich mit bloßem Haupt ein Büßer blicken, den Schädel glatt wie eines Beckens Rücken. Da hub der Vogel gleich zu reden an und rief dem Derwisch zu: "Sag lieber Mann, wie wurdest Kahlkopf du zum Kahlen? sprich! Vergossest du vielleicht auch Öl wie ich?" Man lachte des Vergleichs, daß seine Lage der Vogel auf den Derwisch übertrage.
Jalal ad-Din Muhammad ar-Rumi
Bei diesem unbedachten Wort sah ich plötzlich den armen Lahmen vor mir, flehend und leidend, ihn, den wir nicht liebten, den wir loszuwerden trachteten und der jetzt von uns verlassen und eingeschlossen einsam und traurig in der dämmernden Stube saß. Es fiel mir ein, daß es nun bald zu dunkeln beginnen müsse und daß er nicht im stande sein würde, Licht zu machen oder dem Fenster näher zu rücken. Also würde er das Buch weglegen und im Halbdunkel allein sitzen müssen, ohne Gespräch oder Zeitvertreib, indes wir hier Wein tranken, lachten und uns vergnügten. Und es fiel mir ein, wie ich den Nachbarn in Assisi vom heiligen Franz erzählt hatte und wie ich geflunkert hatte, er hätte mich gelehrt alle Menschen liebzuhaben. Wozu hatte ich das Leben des Heiligen studiert und seinen herrlichen Gesang der Liebe auswendig gelernt und seine Spuren auf den umbrischen Hügeln gesucht, wenn nun ein armer und hülfloser Mensch dalag und leiden mußte, während ich davon wußte und ihn trösten konnte?
Hermann Hesse (Peter Camenzind)
Als ein Schriftgelehrter Jesus einmal fragte, […]was nach seiner Meinung das grüßte Gebot im Gesetz sei, sagte er, es sei die Liebe zu Gott. Das zweite Gebot, man solle seinen Nächsten genauso lieben wie sich selbst, sei jedoch dem ersten gleich. Offenbar ging er davon aus, dass jeder sich selbst liebt; Menschenkenntnis war nicht gerade seine Stärke. In dieser Hinsicht mußte man erst noch auf den Juden aus Wien warten. Wer sich selbst nicht liebte oder gar hasste, durfte also dem zweiten ‚Wort’ zufolge auch seine Mitmenschen hassen, man durfte morden, wenn man dann auch Selbstmord verübte wie Judas oder Hitler. Von der Hölle hatte Jesus offenbar keine Ahnung, aber das war eigentlich klar: schließlich war er ein Wesen, das Gott liebte wie sich selbst. Aber der Kern seiner Antwort lag im Ist-Gleich-Zeichen, das er zwischen die fünf Gebote auf der einen und die fünf auf der anderen Tafel setzte; eines Tages formulierte er sogar eine positive Version der Goldenen Regel: ‚Was Du willst, das man dir tu, das füge auch dem andern zu, denn das ist das Gesetz und die Propheten.
Harry Mulisch (The Discovery of Heaven)
Radek verstand Trotzkis zynische Haltung, die oft genug seiner eigenen entsprach, durchaus… "Wenn ich die Hekatomben von Blut, die bereits vergossen wurden seit letztem August, zu denen addiere, die dieser Krieg noch kosten wird, und dagegen das Blut rechne, das ein Bürgerkrieg fordern würde, der dem ganzen Elend ein rapides Ende setzt – was würde mehr wiegen?" – "Ein rapides Ende"' sagte Trotzki. "Ihr Wort in Gottes Ohr." – "Zu welcher Fraktion"' fragte Radek, "rechnen Sie Gott?" – Trotzki: "Dass wir Juden uns auch immer rückversichern wollen!
Stefan Heym (Radek)
Sie braucht ewig lange, um eine Antwort zu schicken. Tausendzweihundert Sekunden, um es genau zu nehmen. Nicht dass ich mitzähle, das ist nur mein Herz, das zu heftig schlägt. Vielleicht ist es sogar ein Donnern. Ich weiß es nicht. Ich hör eh nur Rauschen. Ihre Antwort besteht aus einem einzigen Wort. Hi. Ich kann vor mir sehen, wie sie ihren Blick senkt. Wie sie das Wort viel zu schnell, viel zu hastig sagt und dann so tut, als hätte sie es nicht so gemeint. Als würde sie darauf hoffen, dass man sie gar nicht erst hört. Aber ich höre dich, ich höre dich immer.
Mehwish Sohail (Like water in your hands (Like This, #1))
Stundenlang saß sie da, wägte sorgfältig Worte ab, lauschte ihrem Klang: verführerisch. Musik, vor allem, wenn sie bereits gesungen, sie schwirrten ihr durch den Kopf – wie allen, die mit Sprache umgehen. Wörter tauchen im Kopf auf und tanzen dort Rhythmen, die aus dem Unterbewusstsein auftauchen. Wortsplitter und –fetzen: Manchmal liefern sei einen Hinweis auf einen verborgenen Geisteszustand. Manchmal klimpern und klingeln sie tagelang und machen einen ganz verrückt. Und manchmal sind sie wie ein unsichtbarer Film, wie eine durchsichtige Folie zwischen einem selbst und der Wirklichkeit
Doris Lessing (Love, Again)
Hinzu kommt der Ton, in dem die Medien des Establishments über Fehlverhalten der Regierung berichten. Die journalistische Kultur in den USA gebietet es, dass Reporter jegliche eindeutige oder konkrete Aussage vermeiden und auch noch so fragwürdige Behauptungen der Regierung in ihrer Berichterstattung berücksichtigen. Stattdessen benutzen sie eine Sprache, die der eigene Kolumnist der Washington Post, Erik Wemple, als "politisch schwer gemäßigt" verspottet: niemals etwas Eindeutiges sagen, sondern sowohl die Rechtfertigungen der Regierung als auch die konkreten Tatsachen in der gleichen Glaubwürdigkeit darstellen, was insgesamt den Effekt hat, dass Enthüllungen verwässert und zu einem häufig ebenso zusammenhang- wie belanglosen Brei verquirlt werden. Vor allem messen sie Behauptungen von offizieller Seite stets großes Gewicht bei, selbst wenn diese schlicht unwahr oder absichtlich falsch sind. Ebendieser ängstliche, servile Journalismus war es, der die Times, die Post und viele andere Medien veranlasste, in ihren Berichten über die Verhörmethoden während der Regierung Bush das Wort "Folter" tunlichst zu vermeiden, obwohl sie nicht das geringste Problem damit hatten, wenn die Regierung eines anderen Staates auf der Welt exakt die gleichen Methoden einsetzte.
Glenn Greenwald (No Place to Hide: Edward Snowden, the NSA, and the U.S. Surveillance State)
Weil nun aber unser Zustand vielmehr etwas ist, das besser nicht wäre; so trägt Alles, was uns umgiebt, die Spur hievon – gleich wie in der Hölle Alles nach Schwefel riecht, – indem Jegliches stets unvollkommen und trüglich, jedes Angenehme mit Unangenehmem versetzt, jeder Genuß immer nur ein halber ist, jedes Vergnügen seine eigene Störung, jede Erleichterung neue Beschwerde herbeiführt, jedes Hülfsmittel unserer täglichen und stündlichen Noch uns alle Augenblicke im Stich läßt und seinen Dienst versagt, die Stufe, auf welche wir treten, so oft unter uns bricht, ja, Unfälle, große und kleine, das Element unsers Lebens sind, und wir, mit Einem Wort, dem Phineus gleichen, dem die Harpyen alle Speisen besudelten und ungenießbar machten. Alles was wir anfassen, widersetzt sich, weil es seinen eigenen Willen hat, der überwunden werden muß. Zwei Mittel werden dagegen versucht: erstlich die eulabeia, d.i. Klugheit, Vorsicht, Schlauheit: sie lernt nicht aus und reicht nicht aus und wird zu Schanden, Zweitens, der Stoische Gleichmuth, welcher jeden Unfall entwaffnen will, durch Gefaßtseyn auf alle und Verschmähen von Allem: praktisch wird er zur kynischen Entsagung, die lieber, ein für alle Mal, alle Hülfsmittel und Erleichterungen von sich wirft: sie macht uns zu Hunden: wie den Diogenes in der Tonne. Die Wahrheit ist: wir sollen elend seyn, und sind's. Dabei ist die Hauptquelle der ernstlichsten Uebel, die den Menschen treffen, der Mensch selbst: homo homini lupus. Wer dies Letztere recht ins Auge faßt, erblickt die Welt als eine Hölle, welche die des Dante dadurch übertrifft, daß Einer der Teufel des Andern seyn muß; wozu denn freilich Einer vor dem Andern geeignet ist, vor Allen wohl ein Erzteufel, in Gestalt eines Eroberers auftretend, der einige Hundert Tausend Menschen einander gegenüberstellt und ihnen zuruft: "Leiden und Sterben ist euere Bestimmung: jetzt schießt mit Flinten und Kanonen auf einander los!" und sie thun es.
Arthur Schopenhauer
Klarkommen war ihre Formulierung, und sie fragten mich, ob und nicht wie ich klarkäme, und deshalb konnte ich einfach immer Ja sagen. Ich wollte nicht reden, konnte den Schmerz und die dunklen, durcheinanderwirbelnden, ziellosen Gedanken nicht in Worte fassen, sosehr ich es auch versuchte. Nachts saß ich manchmal auf dem Fensterbrett, starrte in den Himmel und versuchte alles aufzuschreiben, aber es gab die Worte nicht. Schmerzen hatte man auch, wenn man sich in den Finger schnitt, Schwärze konnte schön sein, eine Leere konnte man füllen, und damit war alles zu wenig, zu oft benutzte Wörter, die nicht für das Schlimmste stehen konnten, das mir passiert war.
Boris Koch (Vier Beutel Asche)
Sie drehte sich im Kreis und versuchte, alles in sich aufzunehmen. Die von den Hecken wild überwucherten, sanft nach innen gedrückten verwitterten Latten des Zauns. Die parallel stehenden Bäume, die in ihren breit aufgefächerten Kronen, ihren geneigten Stämmen und in ihren Blätterwolken längst alle Rechteckigkeit zu einer verblassenden Erinnerung gemacht hatten. Das Meer aus Gras, aufgeschossenen Kräutern und Brennnesseln, durch das im leichten Septemberwind hellgrüne Wellen an einem Ende des Gartens zum anderen liefen. "Das ist alles...", wieder suchte sie nach dem richtigen Wort, "das ist alles wie eine wunderbare Strafe für den versuch, Sachen, die wachsen, in eine Form zu pressen. Verstehst du das nicht?
Ewald Arenz (Alte Sorten)
Sie flüsterte seinen Namen so behutsam wie ein Kind, das die einzelnen Worte probiert. Als er mit ihrem Namen antwortete, klangen die wenigen Silben wie ein neues Wort - der Laut war der gleiche, doch die Bedeutung hatte sich geändert. Und dann sprach er die drei Worte, die noch soviel schlechte Kunst, noch soviel Lug und Trug nicht ganz entwerten können. Sie wiederholte sie und legte genau die gleiche, leichte Betonung auf das zweite Wort, als wäre sie diejenige, die zuerst gesprochen hatte. Er glaubte an keinen Gott, doch es war unmöglich, nicht an eine unsichtbare Präsenz, an einen Zeugen im Zimmer zu denken und daran, dass diese laut gesprochenen Worte wie Unterschriften unter einem unsichtbaren Vertrag waren.
Ian McEwan (Atonement)
auf einem spielplatz im park hat sich ein junges paar auf zwei schaukeln gesetzt und führt ein langes sondierendes gespräch. beide wollen nicht nur reden, aber ihre worte sind alles, was sie in dieser nacht füreinander haben. langsam wird es auch für die beiden zeit, den park zu verlassen. auch sie müssen nach hause, letzte verkehrsmittel erwischen. als sie gehen, ist der park nur noch vom geräusch der grillen durchzogen. in den umliegenden villen leuchten vereinzelte fenster und verdrängen die funkelnde pracht der sterne, die über dem park steht. in ungeordneter folge gehen die fensterlichter an, aus, kurz, lang. der park nimmt die seufzer, die schreie aus den häusern auf: wie ein schwamm. so vergeht die nacht. gegen morgen wankt ein irgendwo übersehener betrunkener aus seinem gebüsch, das er vorrübergehend beschlief, sucht seinen heimweg.
David Ramirer (2015 - fuck me tender)
Kleine Pause, damit ich die nächsten Worte, die mir, nicht einzeln, doch in ihrer Abfolge, aus gewissen, persönlichen Gründen heilig sind, mit dem entsprechenden Raum sprechen kann: Manchmal, sage ich, bin ich von Liebe und Hingabe ganz erfüllt. So ganz und gar, dass ich fast aufhöre, ich zu sein. Meine Sehnsucht, sie zu sehen und zu verstehen, ist so groß, dass ich mir wünsche, die Luft zwischen ihnen zu sein, dass sie mich einatmen und ich eins mit ihnen werde bis hinunter in die letzte Zelle. Ein anderes Mal bin ich wiederum so überschwemmt von Ekel, wenn ich sie vor mir sehe, diese Kadavermünder, wie sie essen und trinken und reden, und alles in ihnen wird zu Morast und Lüge, und ich fühle, wenn ich mir das noch einen Augenblick länger ansehen und anhören muss, werde ich auf das nächstbeste Gesicht so lange einprügeln, bis nichts mehr davon übrig ist.
Terézia Mora
Zuletzt aber: wozu müssten wir Das, was wir sind, was wir wollen und nicht wollen, so laut und mit solchem Eifer sagen? Sehen wir es kälter, ferner, klüger, höher an, sagen wir es, wie es unter uns gesagt werden darf, so heimlich, dass alle Welt es überhört, dass alle Welt uns überhört! Vor Allem sagen wir es langsam... Diese Vorrede kommt spät, aber nicht zu spät, was liegt im Grunde an fünf, sechs Jahren? Ein solches Buch, ein solches Problem hat keine Eile; überdies sind wir Beide Freunde des lento, ich ebensowohl als mein Buch. Man ist nicht umsonst Philologe gewesen, man ist es vielleicht noch das will sagen, ein Lehrer des langsamen Lesens: – endlich schreibt man auch langsam. Jetzt gehört es nicht nur zu meinen Gewohnheiten, sondern auch zu meinem Geschmacke – einem boshaften Geschmacke vielleicht? – Nichts mehr zu schreiben, womit nicht jede Art Mensch, die "Eile hat", zur Verzweiflung gebracht wird. Philologie nämlich ist jene ehrwürdige Kunst, welche von ihrem Verehrer vor Allem Eins heischt, bei Seite gehn, sich Zeit lassen, still werden, langsam werden –, als eine Goldschmiedekunst und -kennerschaft des Wortes, die lauter feine vorsichtige Arbeit abzuthun hat und Nichts erreicht, wenn sie es nicht lento erreicht. Gerade damit aber ist sie heute nöthiger als je, gerade dadurch zieht sie und bezaubert sie uns am stärksten, mitten in einem Zeitalter der "Arbeit", will sagen: der Hast, der unanständigen und schwitzenden Eilfertigkeit, das mit Allem gleich "fertig werden" will, auch mit jedem alten und neuen Buche: – sie selbst wird nicht so leicht irgend womit fertig, sie lehrt gut lesen, das heisst langsam, tief, rück- und vorsichtig, mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Thüren, mit zarten Fingern und Augen lesen... Meine geduldigen Freunde, dies Buch wünscht sich nur vollkommene Leser und Philologen: lernt mich gut lesen!
Friedrich Nietzsche (Morgenröte/Idyllen aus Messina/Die fröhliche Wissenschaft)
»Sie haben uns förmlich von der Außenwelt abgeschnitten, Josua,« unterbrach Zwakh die Stille, »seit Sie das Fenster geschlossen haben, hat niemand mehr ein Wort gesprochen.« »Ich dachte nur darüber nach, als vorhin die Mäntel so flogen, wie seltsam es ist, wenn der Wind leblose Dinge bewegt,« antwortete Prokop schnell, wie um sich wegen seines Schweigens zu entschuldigen: »Es sieht gar so wunderlich aus, wenn Gegenstände plötzlich zu flattern anheben, die sonst immer tot daliegen. Nicht? – Ich sah einmal auf einem menschenleeren Platz zu, wie große Papierfetzen, – ohne daß ich vom Winde etwas spürte, denn ich stand durch ein Haus gedeckt, – in toller Wut im Kreise herumjagten und einander verfolgten, als hätten sie sich den Tod geschworen. Einen Augenblick später schienen sie sich beruhigt zu haben, aber plötzlich kam wieder eine wahnwitzige Erbitterung über sie, und in sinnlosem Grimm rasten sie umher, drängten sich in einen Winkel zusammen, um von neuem besessen auseinander zu stieben und schließlich hinter einer Ecke zu verschwinden. Nur eine dicke Zeitung konnte nicht mitkommen; sie blieb auf dem Pflaster liegen und klappte haßerfüllt auf und zu, als sei ihr der Atem ausgegangen und als schnappe sie nach Luft. Ein dunkler Verdacht stieg damals in mir auf: was, wenn am Ende wir Lebewesen auch so etwas Ähnliches wären wie solche Papierfetzen? – Ob nicht vielleicht ein unsichtbarer, unbegreiflicher »Wind« auch uns hin und her treibt und unsre Handlungen bestimmt, während wir in unserer Einfalt glauben unter eigenem, freiem Willen zu stehen? Wie, wenn das Leben in uns nichts anderes wäre als ein rätselhafter Wirbelwind? Jener Wind, von dem die Bibel sagt: Weißt du, von wannen er kommt und wohin er geht? – – – Träumen wir nicht auch zuweilen, wir griffen in tiefes Wasser und fingen silberne Fische, und nichts anderes ist geschehen, als daß ein kalter Luftzug unsere Hände traf?«
Gustav Meyrink
Brods 613 Traurigkeiten TRAURIGKEITEN DES KÖRPERS: Die Traurigkeit des Spiegels; die Traurigkeit, wie die Eltern oder nicht wie die Eltern auszusehen; die Traurigkeit, nicht zu wissen, ob der eigene Körper normal ist; die Traurigkeit zu wissen, dass der eigene Körper nicht normal ist; die Traurigkeit zu wissen, dass der eigene Körper normal ist; die Traurigkeit der Schönheit; die Traurigkeit des Make-ups; die Traurigkeit der körperlichen Schmerzen; die Traurigkeit der Stiche in einem eingeschlafenen Glied; die Traurigkeit der Kleider; die Traurigkeit des zuckenden Augenlids; die Traurigkeit der fehlenden Rippe; die bemerkbare Traurigkeit); die Traurigkeit, nicht bemerkt zu werden; die Traurigkeit, Geschlechtsorgane zu haben, die nicht wie die des geliebten Menschen sind; die Traurigkeit, Geschlechtsorgane zu haben, die wie die des geliebtenMenschen sind; die Traurigkeit der Hände... TRAURIGKEITEN DES BUNDES: Die Traurigkeit der Liebe Gottes; die Traurigkeit des Rückens [sie] Gottes; die Traurigkeit des bevorzugten Kindes; die Traurigkeit, vor seinem Gott traurig zu sein; die Traurigkeit des Gegenteils von Glauben [sie]; die Traurigkeit des »Was wenn?«; die Traurigkeit Gottes, der allein im Himmel ist; die Traurigkeit eines Gottes, der Menschen braucht, die zu ihm beten... TRAURIGKEITEN DES GEISTES: Die Traurigkeit, missverstanden zu werden; die Traurigkeit des Humors; die Traurigkeit der unerfüllten Liebe; die Traurigkeit, klug zu sein; die Traurigkeit, nicht genug Worte zu kennen, um auszudrücken, was man meint]; die Traurigkeit, verschiedene Möglichkeiten zu haben; die Traurigkeit, traurig sein zu wollen; die Traurigkeit der unerfüllten Liebe; die Traurigkeit zahmer Vögel; die Traurigkeit, ein Buch zu Ende gelesen zu haben; die Traurigkeit des Erinnerns; die Traurigkeit des Vergessens; die Traurigkeit der Angst... TRAURIGKEITEN DER MENSCHLICHEN BEZIEHUNGEN: Die Traurigkeit, vor dem eigenen Vater oder der eigenen Mutter traurig zu sein; die Traurigkeit der falschen Liebe; die Traurigkeit der Liebe; die Traurigkeit der Freundschaft; die Traurigkeit eines schlechten Gesprächs; die Traurigkeit dessen, was hätte sein können; die heimliche Traurigkeit... TRAURIGKEITEN DER SEXUALITÄT UND DER KUNST: Die Traurigkeit der sexuellen Erregung als ungewöhnlicher körperlicher Zustand; die Traurigkeit, das Bedürfnis zu erspüren, schöne Dinge zu erschaffen; die Traurigkeit des Anus; die Traurigkeit des Blickkontakts während Cunnilingus und Fellatio; die Traurigkeit des Küssens; die Traurigkeit, sich zu schnell zu bewegen; die Traurigkeit, sich gar nicht zu bewegen; die Traurigkeit des Aktmodells; die Traurigkeit der Porträtmalerei; die Traurigkeit von Pinchas T.s einziger bedeutender Abhandlung »An den Staub: Vom Menschen bist du, und zum Menschen sollst du werden«, in der er argumentierte, es sei theoretisch möglich, das Leben und die Kunst gegeneinander auszutauschen.
Jonathan Safran Foer (Everything is Illuminated)
Und glaube mir nur, Freund Höllenlärm! Die grössten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden. Nicht um die Erfinder von neuem Lärme: um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt; unhörbar dreht sie sich. Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Lärm und Rauch sich verzog. Was liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsäule im Schlamme liegt! Und diess Wort sage ich noch den Umstürzern von Bildsäulen. Das ist wohl die grösste Thorheit, Salz in's Meer und Bildsäulen in den Schlamm zu werfen. Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsäule: aber das ist gerade ihr Gesetz, dass ihr aus der Verachtung wieder Leben und lebende Schönheit wächst! Mit göttlicheren Zügen steht sie nun auf und leidendverführerisch; und wahrlich! sie wird euch noch Dank sagen, dass ihr sie umstürztet, ihr Umstürzer! Diesen Rath aber rathe ich Königen und Kirchen und Allem, was alters- und tugendschwach ist – lasst euch nur umstürzen! Dass ihr wieder zum Leben kommt, und zu euch – die Tugend!
Friedrich Nietzsche (Also sprach Zarathustra und andere Schriften)
I Prüft jedes Wort prüft jede Zeile vergesst niemals man kann mit einem Satz auch den Gegen-Satz ausdrücken II Misstraut den Überschriften den fettgedruckten sie verbergen das Wichtigste misstraut den Leitartikeln den Inseraten den Kurstabellen den Leserbriefen und den Interviews am Wochenende Auch die Umfragen der Meinungsforscher sind manipuliert die Vermischten Nachrichten von findigen Redakteuren erdacht misstraut dem Feuilleton den Theaterkritikern Die Bücher sind meistens besser als ihre Rezensenten lest das was sie verschwiegen haben Misstraut auch den Dichtern bei ihnen hört sich alles schöner an auch zeitloser aber es ist nicht wahrer nicht gerechter III Übernehmt nichts ohne es geprüft zu haben nicht die Wörter und nicht die Dinge nicht die Rechnung und nicht das Fahrrad nicht die Milch und nicht die Traube nicht den Regen und nicht die Sätze fasst es an schmeckt es dreht es nach allen Seiten nehmt es wie eine Münze zwischen die Zähne hält es stand? Seid ihr zufrieden? IV Ist Feuer noch Feuer und Laub noch Laub ist Flugzeug Flugzeug und Aufstand Aufstand ist eine Rose noch eine Rose? Hört nicht auf euren Zeitungen zu misstrauen auch wenn die Redakteure oder Regierungen wechseln
Horst Bienek
Sie wenden sich gern ab oder lesen nicht weiter, wenn sie nur das Wort "Trans" hören oder ein Sternchen oder einen Unterstrich sehen – als verdienten Phänomene oder Menschen, die es seltener gibt, keine Aufmerksamkeit oder Wertschätzung. Als reichte die eigene Empathie nicht oder als sollte sie nicht reichen. Dabei ist es vielen bei den eher unwahrscheinlichen Figuren aus dem Kosmos von z.b. Shakespeare (...) ganz selbstverständlich, sich einzufühlen und ihre Geschichten verstehen zu wollen. Selten heißt schließlich nicht seltsam oder monströs. Selten heißt nur selten. Es sind womöglich nur Menschen, über die seltener Geschichten erzählt werden. Und es sind manchmal die Menschen mit besonderen, seltenen Eigenschaften oder Erfahrungen, in deren Sehnsüchten und Kämpfen um Anerkennung sich die Verletzbarkeit als condition humaine selbst spiegelt. Und so ist es gerade die Verwundbarkeit von Transpersonen, ihre Suche nach Sichtbarkeit und Anerkennung, in der sich jene wechselseitige Abhängigkeit zeigt, die uns als Menschen allgemein kennzeichnet. Insofern berührt und betrifft die Situation von Transpersonen alle. Nicht nur diejenigen, die so leben und empfinden wie sie. Die Rechte von Transpersonen sind so wichtig wie alle Menschenrechte, und sie zu begründen und zu verteidigen gehört zur Selbstverständlichkeit universalistischen Denkens.
Carolin Emcke (Gegen den Hass)
O lieb', solang du lieben kannst! O lieb', solang du lieben kannst! O lieb', solang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst! Und sorge, daß dein Herze glüht Und Liebe hegt und Liebe trägt, Solang ihm noch ein ander Herz In Liebe warm entgegenschlägt! Und wer dir seine Brust erschließt, O tu ihm, was du kannst, zulieb'! Und mach' ihm jede Stunde froh, Und mach ihm keine Stunde trüb! Und hüte deine Zunge wohl, Bald ist ein böses Wort gesagt! O Gott, es war nicht bös gemeint, - Der andre aber geht und klagt. O lieb', solang du lieben kannst! O lieb', solang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst! Dann kniest du nieder an der Gruft Und birgst die Augen, trüb und naß, - Sie sehn den andern nimmermehr - Ins lange, feuchte Kirchhofsgras. Und sprichst: O schau' auf mich herab, Der hier an deinem Grabe weint! Vergib, daß ich gekränkt dich hab'! O Gott, es war nicht bös gemeint! Er aber sieht und hört dich nicht, Kommt nicht, daß du ihn froh umfängst; Der Mund, der oft dich küßte, spricht Nie wieder: Ich vergab dir längst! Er tat's, vergab dir lange schon, Doch manche heiße Träne fiel Um dich und um dein herbes Wort - Doch still - er ruht, er ist am Ziel! O lieb', solang du lieben kannst! O lieb', solang du lieben magst! Die Stunde kommt, die Stunde kommt, Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Ferdinand Freiligrath
Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfüllte, alles andere daraus verdrängend? Es gärte und kochte in dir, zur siedenden Glut entzündet sprang das Blut durch die Adern und färbte höher deine Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloß in dunkle Seufzer. Da frugen dich die Freunde: »Wie ist Ihnen, Verehrter? - Was haben Sie, Teurer?« Und nun wolltest du das innere Gebilde mit allen glühenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und mühtest dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war dir, als müßtest du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche, Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht zusammengreifen, so daß es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe. Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien dir farblos und frostig und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die nüchternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche, hinein in deine innere Glut, bis sie verlöschen will. Hattest du aber, wie ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du mit leichter Mühe immer glühender und glühender die Farben auf und das lebendige Gewühl mannigfacher Gestalten riß die Freunde fort und sie sahen, wie du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemüt hervorgegangen!
E.T.A. Hoffmann (The Sandman)
Von der Freundschaft Und ein junger Mann sagte: Sprich uns von der Freundschaft. Und er antwortete und sagte: Euer Freund ist die Antwort auf eure Nöte. Er ist das Feld, das ihr mit Liebe besät und mit Dankbarkeit erntet. Und er ist euer Tisch und euer Herd. Denn ihr kommt zu ihm mit eurem Hunger, und ihr sucht euren Frieden bei ihm. Wenn euer Freund frei heraus spricht, fürchtet ihr weder das "Nein" in euren Gedanken, noch haltet ihr mit dem "Ja" zurück. Und wenn er schweigt, hört euer Herz nicht auf, dem seinen zu lauschen; Denn in der Freundschaft werden alle Gedanken, alle Wünsche, alle Erwartungen ohne Worte geboren und geteilt, mit Freude, die keinen Beifall braucht. Wenn ihr von eurem Freund weggeht, trauert ihr nicht; Denn was ihr am meisten an ihm liebt, ist vielleicht in seiner Abwesenheit klarer, wie der Berg dem Bergsteiger von der Ebene aus klarer erscheint. Und die Freundschaft soll keinen anderen Zweck haben, als den Geist zu vertiefen. Denn Liebe, die etwas anderes sucht als die Offenbarung ihres eigenen Mysteriums, ist nicht Liebe, sondern ein ausgeworfenes Netz: und nur das Nutzlose wird gefangen. Und laßt euer Bestes für euren Freund sein. Wenn er die Ebbe eurer Gezeiten kennen muß, laßt ihn auch das Hochwasser kennen. Denn was ist ein Freund, wenn ihr ihn nur aufsucht, um die Stunden totzuschlagen? Sucht ihn auf, um die Stunden mit ihm zu erleben. Denn er ist da, eure Bedürfnisse zu befriedigen, nicht aber eure Leere auszufüllen. Und in der Süße der Freundschaft laßt Lachen sein und geteilte Freude. Denn im Tau kleiner Dinge findet das Herz seinen Morgen und wird erfrischt.
Kahlil Gibran
… Das verschlug mir für einen Moment die Sprache, ich hatte nicht gedacht, dass es so schlimm um sie stand. »Das tut mir leid … Kann ich irgendetwas tun?« Nat lächelte schwach. »Hast du das nicht schon? Danke. Hau dich lieber ins Bett. Du musst früh raus. Oder hast du morgen keine Schicht?« Während ich die restliche Soße in einen Behälter füllte und in den Kühlschrank stellte, nickte ich bejahend. »Stimmt, Punkt fünf muss ich dort sein, um bei den Vorbereitungen zu helfen.« Seit ich vor sechs Monaten aus Amerika zurückgekommen war, jobbte ich als Frühstückskellner im Radisson Blu Palais Hotel, direkt am Parkring. Eine feine Adresse in Wien, vollgestopft mit gut betuchten Damen, die gerne zu viel Trinkgeld gaben. Mir konnte das mehr als Recht sein. Nur das Aufstehen war die Hölle. »Du weißt, wie streng meine Chefin ist, da gibt es kein Zuspätkommen.« Bei meinen Worten prustete Nat los: »Ja klar, als ob du sie nicht schon längst um den Finger gewickelt hättest mit deinen tiefblauen Augen«, wobei er das Wort tiefblau mit den Fingern in Anführungszeichen setzte und zu quietschen versuchte, wie es eine Bekannte von uns letzten Samstag auf einer Party getan hatte. Verspielt klimperte ich mit den Wimpern und lehnte mich an die Küchenzeile. Wieder musste Nat schmunzeln, wobei er dieses Mal schluckte, bevor er weiterredete: »Hör auf mit dem Scheiß. Verdammt, wenn ich eine Braut wäre, würde ich auch auf dich stehen. Aber weißt du was?« Nun tippte er mit der leeren Gabel in meine Richtung. »Ich würde nie mit dir ins Bett gehen, weil ich Angst vor Syphilis hätte.« Theatralisch griff ich mir mit der Hand an die Brust und verzog schmerzverzerrt das Gesicht. »Das tut weh! Dabei wärst du so eine geile Schnitte, mit deinen blonden Locken und braunen Augen. Du brichst mir das Herz.« Endlich erreichte Nats Lächeln auch wieder seine Augen und ich atmete innerlich erleichtert auf, bevor ich weiter blödelte. »Du bräuchtest dir gar keine Sorgen darum zu machen, Schatz. Ich nehme doch immer ein Kondom.« »Zum Glück«, betonte er laut, »für die ganze Stadt, sonst würden drei Viertel der Frauen bereits krank im Spital liegen.« Damit brachte er auch mich zum Lachen. »Du bist ein Idiot.« Anstatt mir eine schnelle Retourkutsche zu verpassen, zwinkerte er mir zu und stopfte sich genüsslich den nächsten Happen in den Mund. »Deshalb ist es auch keine schlechte Idee, wenn du wieder losziehst, um die Frauen anderer Städte zu beglücken, damit unsere in Frieden weiterleben können. Weißt du schon, wann es soweit ist?« Eigentlich hatte ich vorgehabt, spätestens im Herbst aufzubrechen und wieder für einige Zeit in Amerika herumzustreunen. Doch so wie mich Nat jetzt anguckte, wie ein zurückgelassener Welpe, meldete sich mein schlechtes Gewissen. Daher zuckte ich mit den Schultern. »Keine Ahnung. In den nächsten Monaten vielleicht. Warum?« Er fragte nicht grundlos, etwas in seinem Blick machte mich unruhig, aber ich konnte nicht sagen was oder warum. Wir hatten die letzten Wochen schon einige Male darüber geredet. Bisher hatte er noch nie Probleme damit gehabt, dass ich manchmal für drei, vier Monate aus dem Land verschwand. Nat leckte die Gabel ab und stellte das Geschirr in die Spüle. »Nichts. Nur so.« … (Bildquelle: pinterest) ‪
Martina Riemer
Du bist immer allzu bescheiden gewesen, Vergil, doch kein Mann falscher Bescheidenheit; es ist mir klar, daß du deine Gaben absichtlich schlecht machen willst, um sie uns schließlich hinterrücks zu entziehen.' Nun war es ausgespochen, ach, nun war es ausgesprochen – unbeirrbar und hart ging der Cäsar auf sein Ziel los, un nichts wird ihn hindern, die Manuskripte zu rauben: 'Octavian, laß mir das Gedicht!' 'Sehr richtig, Vergil, das ist es ... Lucius Varius und Plotius Tucca haben mir von deinem erschreckenden Vorhaben berichtet, und gleich ihnen wollte ich es nicht glauben ... gedenkst du tatsächlich deine Werke zu vernichten?' Schweigen breitete sich im Raume aus, ein strenges Schweigen, das fahl und dünnstrichig konturiert in dem nachdenklich strengen Gesicht des Cäsars seinen Mittelpunkt hatte. Im Nirgendwo klagte etwas sehr leise und auch dies so dünn und geradlinig wie die Falte zwischen des Augustus Augen, dessen Blick auf ihn ruhte. 'Du schweigst', sagte der Cäsar, 'und dies heißt wohl, daß du dein Geschenk tatsächlich zurückziehen willst ... bedenke, Vergil, es ist die Äneis! deine Freunde sind sehr betrübt, und ich, du weißt es, ich rechne mich zu ihnen.' Plotias leises Klagen wurde vernehmlicher; dünn aneinandergereiht, betonungslos kamen die Worte: 'Vernichte die Dichtung, gib mir dein Schicksal; wir müssen uns lieben.' Das Gedicht vernichten, Plotia lieben, Freund dem Freunde sein, seltsam überzeugend fügte sich Verlockung an Verlokkung, und doch war es nicht Plotia, die daran teilnehmen durfte: 'Oh, Augustus, es geschieht um unserer Freundschaft willen; dringe nicht in mich.' 'Freundschaft? ... du sprichst, als ob wir, deine Freunde, unwert wären, dein Geschenk zu behalten.
Hermann Broch (The Death of Virgil)
Wer nicht nur seine Nase zum Riechen hat, sondern auch seine Augen und Ohren, der spürt fast überall, wohin er heute auch nur tritt, etwas wie Irrenhaus-, wie Krankenhaus-Luft – ich rede, wie billig, von den Kulturgebieten des Menschen, von jeder Art »Europa«, das es nachgerade auf Erden gibt. Die Krankhaften sind des Menschen große Gefahr: nicht die Bösen, nicht die »Raubtiere«. Die von vornherein Verunglückten, Niedergeworfnen, Zerbrochenen – sie sind es, die Schwächsten sind es, welche am meisten das Leben unter Menschen unterminieren, welche unser Vertrauen zum Leben, zum Menschen, zu uns am gefährlichsten vergiften und in Frage stellen. Wo entginge man ihm, jenem verhängten Blick, von dem man eine tiefe Traurigkeit mit fortträgt, jenem zurückgewendeten Blick des Mißgebornen von Anbeginn, der es verrät, wie ein solcher Mensch zu sich selber spricht – jenem Blick, der ein Seufzer ist! »Möchte ich irgend jemand anderes sein!« so seufzt dieser Blick: »aber da ist keine Hoffnung. Ich bin, der ich bin: wie käme ich von mir selber los? Und doch – habe ich mich satt!«... Auf solchem Boden[863] der Selbstverachtung, einem eigentlichen Sumpfboden, wächst jedes Unkraut, jedes Giftgewächs, und alles so klein, so versteckt, so unehrlich, so süßlich. Hier wimmeln die Würmer der Rach- und Nachgefühle; hier stinkt die Luft nach Heimlichkeiten und Uneingeständlichkeiten; hier spinnt sich beständig das Netz der bösartigsten Verschwörung – der Verschwörung der Leidenden gegen die Wohlgeratenen und Siegreichen, hier wird der Aspekt des Siegreichen gehaßt. Und welche Verlogenheit, um diesen Haß nicht als Haß einzugestehn! Welcher Aufwand an großen Worten und Attitüden, welche Kunst der »rechtschaffnen« Verleumdung! Diese Mißratenen: welche edle Beredsamkeit entströmt ihren Lippen! Wieviel zuckrige, schleimige, demütige Ergebung schwimmt in ihren Augen! Was wollen sie eigentlich? Die Gerechtigkeit, die Liebe, die Weisheit, die Überlegenheit wenigstens darstellen – das ist der Ehrgeiz dieser »Untersten«, dieser Kranken! Und wie geschickt macht ein solcher Ehrgeiz! Man bewundere namentlich die Falschmünzer-Geschicklichkeit, mit der hier das Gepräge der Tugend, selbst der Klingklang, der Goldklang der Tugend nachgemacht wird. Sie haben die Tugend jetzt ganz und gar für sich in Pacht genommen, diese Schwachen und Heillos-Krankhaften, daran ist kein Zweifel: »wir allein sind die Guten, die Gerechten, so sprechen sie, wir allein sind die homines bonae voluntatis.« Sie wandeln unter uns herum als leibhafte Vorwürfe, als Warnungen an uns – wie als ob Gesundheit, Wohlgeratenheit, Stärke, Stolz, Machtgefühl an sich schon lasterhafte Dinge seien, für die man einst büßen, bitter büßen müsse: o wie sie im Grunde dazu selbst bereit sind, büßen zu machen, wie sie darnach dürsten, Henker zu sein. Unter ihnen gibt es in Fülle die zu Richtern verkleideten Rachsüchtigen, welche beständig das Wort »Gerechtigkeit« wie einen giftigen Speichel im Munde tragen, immer gespitzen Mundes, immer bereit, alles anzuspeien, was nicht unzufrieden blickt und guten Muts seine Straße zieht. Unter ihnen fehlt auch jene ekelhafteste Spezies der Eitlen nicht, die verlognen Mißgeburten, die darauf aus sind, »schöne Seelen« darzustellen, und etwa ihre verhunzte Sinnlichkeit, in Verse und andere Windeln gewickelt, als »Reinheit des Herzens« auf den Markt bringen: die Spezies der moralischen Onanisten und »Selbstbefriediger«.
Friedrich Nietzsche (Jenseits von Gut und Böse/Zur Geneologie der Moral)
613 Traurigkeiten Traurigkeit des blauen Himmels, Traurigkeit der Wolken, Traurigkeit des Sommers, Traurigkeit der Sonne, Traurigkeit der Schafe, Traurigkeit des Beisammenseins, Traurigkeit von Weihnachten und Weihnachtsbäumen, Traurigkeit der Kuscheltiere, Traurigkeit des Schnees, Traurigkeit der Farbe, Traurigkeit der Gleise, Traurigkeit von Sex, Traurigkeit vor dem geliebten Menschen traurig zu sein, Traurigkeit der Schaukeln, Traurigkeit des Glücks, Traurigkeit des Meeres, Traurigkeit des Lachens, Traurigkeit der Heimat, Traurigkeit der Ferne, Traurigkeit intelligent zu sein TRAURIGKEITEN DES KÖRPERS: Die Traurigkeit des Spiegels; die Traurigkeit, wie die Eltern oder nicht wie die Eltern [auszusehen]; die Traurigkeit, nicht zu wissen, ob der eigene Körper normal ist; die Traurigkeit zu wissen, dass [der eigene Körper] nicht normal ist; die Traurigkeit zu wissen, dass der eigene Körper normal ist; die Traurigkeit der Schönheit; die Traurigkeit des M[ak]e-ups; die Traurigkeit der körperlichen Schmerzen; die Traurigkeit der Stiche in einem eingeschlafenen Glied; die Traurigkeit der Kleider [sie]; die Traurigkeit des zuckenden Augenlids; die Traurigkeit der fehlenden Rippe; die bemerkbare Traurigkeit); die Traurigkeit, nicht bemerkt zu werden; die Traurigkeit, Geschlechtsorgane zu haben, die nicht wie die des geliebten Menschen sind; die Traurigkeit, Geschlechtsorgane zu haben, die wie die des geliebten Menschen sind; die Traurigkeit der Hände... TRAURIGKEITEN DES BUNDES: Die Traurigkeit der Liebe Gottes; die Traurigkeit des Rückens [sie] Gottes; die Traurigkeit des bevorzugten Kindes; die Traurigkeit, vor seinem Gott traurig zu sein; die Traurigkeit des Gegenteils von Glauben [sie]; die Traurigkeit des »Was wenn?«; die Traurigkeit Gottes, der allein im Himmel ist; die Traurigkeit eines Gottes, der Menschen braucht, die zu ihm beten... TRAURIGKEITEN DES GEISTES: Die Traurigkeit, missverstanden zu werden [sie]; die Traurigkeit des Humors; die Traurigkeit der unerfüllten Liebe; die Traurigkeit, klug zu sein; die Traurigkeit, nicht genug Worte zu kennen, um auszudrücken, was man meint]; die Traurigkeit, verschiedene Möglichkeiten zu haben; die Traurigkeit, traurig sein zu wollen; die Traurigkeit der unerfüllten Liebe; die Traurigkeit zahmer Vögel; die Traurigkeit, ein Buch zu Ende gelesen zu haben; die Traurigkeit des Erinnerns; die Traurigkeit des Vergessens; die Traurigkeit der Angst... TRAURIGKEITEN DER MENSCHLICHEN BEZIEHUNGEN: Die Traurigkeit, vor dem eigenen Vater oder der eigenen Mutter traurig zu sein; die Traurigkeit der falschen Liebe; die Traurigkeit der Liebe [sie]; die Traurigkeit der Freundschaft; die Traurigkeit eines schlechten Gesprächs; die Traurigkeit dessen, was hätte sein können; die heimliche Traurigkeit... TRAURIGKEITEN DER SEXUALITÄT UND DER KUNST: Die Traurigkeit der sexuellen Erregung als ungewöhnlicher körperlicher Zustand; die Traurigkeit, das Bedürfnis zu verspüren, schöne Dinge zu erschaffen; die Traurigkeit des Anus; die Traurigkeit des Blickkontakts während Cunnilingus und Fellatio; die Traurigkeit des Küssens; die Traurigkeit, sich zu schnell zu bewegen; die Traurigkeit, sich gar nicht zu bewegen; die Traurigkeit des Aktmodells; die Traurigkeit der Porträtmalerei; die Traurigkeit von Pinchas T.s einziger bedeutender Abhandlung »An den Staub: Vom Menschen bist du, und zum Menschen sollst du werden«, in der er argumentierte, es sei theoretisch möglich, das Leben und die Kunst gegeneinander auszutauschen.
Jonathan Safran Foer