Ein Ganzes Leben Quotes

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كان هناك شيء من الوحدة أحياناً، لكنهُ لم يرى وحدته كنقيصة.. لم يكن لديه أحد، لكن كان لديه كل ما يحتاجه، وكان ذلك كافياً
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Wer niemals ganze Nachmittage lang mit glühenden Ohren und verstrubbeltem Haar über einem Buch saß und las und las und die Welt um sich her vergaß, nicht mehr merkte, daß er hungrig wurde oder fror - Wer niemals heimlich beim Schein einer Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen hat, weil Vater oder Mutter oder sonst irgendeine besorgte Person einem das Licht ausknipste mit der gutgemeinten Begründung, man müsse jetzt schlafen, da man doch morgen so früh aus den Federn sollte - Wer niemals offen oder im geheimen bitterliche Tränen vergossen hat, weil eine wunderbare Geschichte zu Ende ging und man Abschied nehmen mußte von den Gestalten, mit denen man gemeinsam so viele Abenteuer erlebt hatte, die man liebte und bewunderte, um die man gebangt und für die man gehofft hatte, und ohne deren Gesellschaft einem das Leben leer und sinnlos schien - Wer nichts von alledem aus eigener Erfahrung kennt, nun, der wird wahrscheinlich nicht begreifen können, was Bastian jetzt tat.
Michael Ende (The Neverending Story)
كم يغرق المرء في الكآبة بسبب الطقس
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Ich dachte, ein neues Leben wäre leichter, aber es wurde nie leichter. Es ist ganz gleich, ob wir Apotheker oder Tischler oder Schriftsteller sind. Die Regeln sind immer ein wenig anders, aber die Fremdheit bleibt und die Einsamkeit und alles andere auch.
Ferdinand von Schirach (Strafe)
Ich fragte mich, wie es weitergehen würde, und war beängstigt, aber auch fasziniert von der Antwort, dass ich es einfach nicht wusste. Ich wusste nur, dass ich das ganze letzte Jahr ziemlich nah am Abgrund gewesen war. Doch es gibt Fehler, die notwendig sind. Manchmal muss man ein kleines bisschen sterben, um wieder ein wenig mehr zu leben.
Benedict Wells (Spinner)
Mir ist’s nirgends recht. Es ist, als wäre ich überall eben zu spät gekommen, als hätte die ganze Welt gar nicht auf mich gerechnet.
Joseph von Eichendorff (Aus dem Leben eines Taugenichts)
Das ganze Leben ist eine tolle Geschichte, John! Einige Menschen erkennen bloß nicht, dass sie selbst die Autoren sind und die Geschichte so schreiben können, wie sie es möchten.
John P. Strelecky
People were evidently looking for something in the mountains that they believed they had lost a long time ago. He never worked out what exactly this was, but over the years he became more and more certain that the tourists were stumbling not so much after him but after some obscure, insatiable longing.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Moment mal", sagte Herr Lehmann. "Was soll das heißen, Lebensinhalt? Lebensinhalt ist doch ein total schwachsinniger Begriff. Was willst du damit sagen, Lebensinhalt? Was ist der Inhalt eines Lebens? Ist das Leben ein Glas oder eine Flasche oder ein Eimer, irgendein Behälter, in den man was hineinfüllt, etwas hineinfüllen muss sogar, denn irgendwie scheint sich ja die ganze Welt einig zu sein, dass man so etwas wie einen Lebensinhalt unbedingt braucht. Ist das Leben so? Nur ein Behältnis für was anderes? Ein Fass vielleicht? Oder eine Kotztüte?
Sven Regener (Herr Lehmann (Frank Lehmann #1))
Narben sind wie Jahre, meinte er, da kommt eines zum anderen und alles zusammen macht erst einen Menschen aus.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
يتناقص المرء ببساطة بمرور الوقت، يجري هذا بسرعة مع أحدهم، ومع آخر قد يستغرق طويلاً
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
In his life he too, like all people, had harboured ideas and dreams. Some he had fulfilled for himself; some had been granted to him. Many things had remained out of reach, or barely had he reached them than they were torn from his hands again. But he was still here. And in the mornings after the first snowmelt, when he walked across the dew-soaked meadow outside his hut and lay down on one of the flat rocks scattered there, the cool stone at his back and the first warm rays of sun on his face, he felt that many things had not gone so badly after all.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
It's a messy business, dying,' he said. 'As time goes on there's just less and less of you. It happens quickly for some; for others it can drag on. Starting from birth you keep losing one thing after another: first a finger, than an arm, first a tooth, then a whole set of teeth, first one memory, then all your memory, and so on and so forth, until one day there's nothing left. Then they chuck what's left of you in a hole and shovel it in and that's your lot.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Soll man die Segel streichen und dem Erlebnis ausweichen, sobald es nicht vollkommen danach angetan ist, Heiterkeit und Vertrauen zu erzeugen? Soll man 'abreisen', wenn das Leben sich ein bisschen unheimlich, nicht ganz geheuer oder etwas peinlich und kränkend anlässt? Nein doch, man soll bleiben, soll sich das ansehen und sich dem aussetzen, gerade dabei gibt es vielleicht etwas zu lernen.
Thomas Mann (Lektüreschlüssel: Mario und der Zauberer)
Egger nickte und der Prokurist seufzte. Und dann sagte er etwas, das Egger, obwohl er es in diesem Moment nicht verstand, sein Leben lang nicht mehr vergaß: „Man kann einem Mann seine Stunden abkaufen, man kann ihm seine Tage stehlen oder ihm sein ganzes Leben rauben. Aber niemand kann einem Mann auch nur einen einzigen Augenblick nehmen.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
بدءاً من ولادتك ، تبدأ خساراتك واحدة تلو الأخرى
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
وأن الافكار المضطربة واليائسة المحيطة بقلبه كغيمة سوداء كانت تتبدد شيئاً فشيئاً حتى لا يتبقى شيء سوى الحزن الصافي
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
كان الزمنُ يحيرهُ، وكان الماضي يبدو وكأنه يتعرج في جميع الإتجاهات
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
من ينفتح فمهُ، تنغلقُ أذناه
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
الإنسان غالباً ما يكون وحيداً في هذا العالم
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
بدل الكلام، كان يُفضل الإصغاء إلى الناس
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich am liebsten bei einem Flugzeugabsturz sterben. Aber auf gar keinen Fall im Bett. Vielleicht mit Ines, oder mit Frau Sprengel, auf dem Linienflug nach Südamerika. Das rechte Triebwerk ist mit einem kaum hörbaren Knall explodiert und zieht eine endlose Feuerschleppe hinter sich her, als wir gerade über dem offenen Meer sind. Die Passagiere kreischen, einige ganz Doofe betteln die Stewardess um Fallschirme an. Ich lege meine Lektüre aus der Hand, beuge mich zu Ines, und sage, ich hatte noch gar nicht zu Ende gelesen. Und Ines sagt, gut, dass wir nicht das teure Hotel gebucht haben. Und wir schauen uns an und wissen, dass wir uns verstanden haben in diesem Leben. Durch das kleine runde Fenster rast die Wasseroberfläche auf uns zu, die bei dieser Geschwindigkeit härter ist als Beton, und ich halte Ines fest und flüstere ihr etwas in Ohr, solange ich noch flüstern kann und solange sie noch ein Ohr hat.
Wolfgang Herrndorf
لن يكون الموت أسوء ما قد يحدث
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
لقد كان صعباً بما فيه الكفاية، أن يتأقلم من جديد على نحوٍ ما مع الحياة
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
أستمتع بالهدوء أكثر من اي شيء آخر
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Könnt eins doch allweil ein Kind bleiben! Da ist jeder Tag ein ganzes Leben. Nachher schlafst du und fangst wieder ein neues an.
Ludwig Ganghofer (Der Klosterjäger: Historischer Roman)
Gib einem Mann ein Fisch, und du ernährst ihn einen Tag, bringe ihm bei, wie man Fische fängt, und du ernährst ihn sein ganzes Leben. Das Leben ist dazu da, das Fischen zu lernen.
Benedict Wells (Vom Ende der Einsamkeit)
Weißt du, was ein Semikolon anzeigt oder bedeutet?' Bevor ich antworten kann, redet er weiter. 'Es bedeutet, dass an dieser Stelle der Satz zu Ende sein könnte, wenn der Autor das gewollt hätte, aber er endet nicht. Du bist der Autor! Der deines Lebens und du entscheidest, wie es weitergeht. Manchmal denkt man, die Depression und die Angst würden einem alles nehmen, was man hat und liebt. Aber die Wahrheit ist, dass nicht die Krankheit das entscheidet, sondern du.
Ava Reed (Alles. Nichts. Und ganz viel dazwischen)
Und wie lautete dieser Gedanke? Dass mein ganzes Leben bisher aus trüben und tiefen Wassern bestanden hatte, aber dass ich nicht Teil dieser dunklen Fluten war. Ich war ein Geschöpf, das darin lebte.
Madeline Miller (Circe)
Ich wusste nur, dass ich ds ganze letzte Jahr ziemlich nah am Abgrund gewesen war. Doch es gibt Fehler, die notwendig sind. Manchmal muss man ein kleines bisschen sterben, um wieder ein wenig mehr zu leben.
Benedict Wells (Spinner)
Diese Grausamkeiten sind in Wirklichkeit keine. Ein Mensch des Mittelalters würde den ganzen Stil unseres heutigen Lebens noch ganz anders als grausam, entsetzlich und barbarisch verabscheuen! Jede Zeit, jede Kultur, jede Sitte und Tradition hat ihren Stil hat ihre ihr zukommenden Zartheiten und Härten, Schönheiten und Grausamkeiten, hält gewisse Leiden für selbstverständlich, nimmt gewisse Übel geduldig hin. Zum wirklichen Leiden, zur Hölle wir das menschliche Leben nur da, wo zwei Kulturen und Religionen einander überschneiden. […] Es gibt nun Zeiten, wo eine ganze Generation so zwischen zwei Zeiten, zwischen zwei Lebensstile hineingerät, dass ihre jede Selbstverständlichkeit, jede Sitte, jede Geborgenheit und Unschuld verloren geht.
Hermann Hesse (Steppenwolf)
Wäre ich eine andere Art von Mensch, würde ich vielleicht sagen, dass dieser Vorfall eine Art Metapher für das Leben als Ganzes ist: Dinge gehen kaputt, und manchmal können sie wieder repariert werden, und meistens stellt man fest, dass das Leben, egal was zerstört wurde, einen Weg findet, den Verlust wieder gut zu machen, manchmal auf ganz wunderbare Weise. Und weiß du was? Vielleicht bin ich diese Art von Mensch.
Hanya Yanagihara (A Little Life)
Es ist in unseren Tagen das größte Hindernis für das wahrhafte Verständnis aller Dichterwerke, daß jeder, statt sich recht und auf sein ganzes Leben davon durchdringen zu lassen, sogleich ein unruhiges, krankhaftes Jucken verspürt, selber zu dichten und etwas dergleichen zu liefern.
Joseph von Eichendorff (Ahnung und Gegenwart)
Wir sind das Volk!" Dieser Satz hat uns gelehrt, dass wir, wenn wir unserer Sehnsucht glauben und ihr vertrauen, die Angst verlieren können. Eine Angst, die willfährige Dienerin jeder Art von nicht legitimierter Herrschaft ist, die uns ohnmächtig macht, die uns bindet. In dem Augenblick aber, in dem wir unsere Angst als Angst benennen und Anpassung und Angst als Geschwisterkinder erkennen, sind wir möglicherweise bereit zu erproben: Können wir auch ohne sie leben? In genau diesem Augenblick wachsen uns jene Kräfte zu, die eine ganze Gesellschaft verändern können.
Joachim Gauck (Freiheit. Ein Plädoyer)
Ich war noch nicht ein bißchen abgestumpft, ich war noch so ganz gewohnt, in einem Rechtsstaat zu leben, daß ich damals vieles für die tiefste Hölle hielt, was ich später höchstens für ihren Vorhof, für den Danteschen Limbo nahm. Immerhin: soviel schlimmer es auch kommen sollte, alles, was sich noch später an Gesinnung, an Tat und Sprache des Nazismus hinzufand, das zeichnet sich in seinen Ansätzen schon in diesen ersten Monaten ab.
Victor Klemperer (The Language of the Third Reich: LTI--Lingua Tertii Imperii: A Philologist's Notebook)
Irgendwo hab ich gelesen, dass das letzte Wort auf der Black Box eines jeden abgestürzten Flugzeugs, das Letzte, was der Pilot sagt, wenn er weiß, dass er sterben wird, 'Mama' ist. Wenn dir mit Lichtgeschwindigkeit die ganze Welt und das ganze Leben entrissen wird, ist dieses Wort das Einzige, was dir bleibt.
Tana French (The Likeness (Dublin Murder Squad, #2))
Auf manche Dinge gibt es eben keine Antwort, das gehört dazu. Wir sind hier unten ganz auf uns allein gestellt. Was wäre das auch für eine Welt, in der jedes Gebet erhört werden würde und wir mit Sicherheit wüssten, dass es nach dem Tod weitergeht? Wozu bräuchten wir dann noch das Leben, wir wären doch schon längst im Paradies.
Benedict Wells (Vom Ende der Einsamkeit)
Weißt du, Jimmy, ich glaube, es wird ganz lustig sein, ein Weilchen in einer Redaktion zu sitzen." "Ich fände es schon sehr lustig, wenn ich _irgendwo_ sitzen dürfte... Na ja, da bleibe ich eben zu Haus und passe auf das Baby auf." "Sei nicht so verbittert, Jimmy, es ist ja nur vorübergehend." "Das ganze Leben ist nur vorübergehend." (S. 250)
John Dos Passos (Manhattan Transfer)
Ein kleiner Teil des Lebens nur ist wahres Leben, der ganze übrige Teil ist nicht Leben, ist blosse Zeit
Seneca (On the Shortness of Life: Life Is Long if You Know How to Use It (Penguin Great Ideas))
Hey, hör mal zu! Ich habe nicht viel im Leben gelernt. Und dir auch nicht viel beigebracht. Aber eins weiß ich ganz genau: Träume gehen niemals in Erfüllung!
Cory Martin (The Outsider (The OC, #1))
Manchmal gibt dir das Leben mehr als einen Satz neuer Karten - es gibt dir einen ganzen Satz neues Kartendeck, vielleicht sogar ein ganz neues Spiel.
Tracy Wolff (Crush (Crave, #2))
»Das Wunderbare an Träumen ist, du weißt nie, ob sie sich erfüllen oder nicht, deshalb begleitet uns die Hoffnung unser ganzes Leben lang, ist ein Teil von uns allen.«
Tanja Voosen (Sommerflüstern)
Wenn du eine Katze willst, brauchst du dir nur ein Leben auszusuchen, in dem du eine Katze haben kannst. Es ist ganz einfach.
Haruki Murakami (Mister Aufziehvogel)
كان العالم حوله ساكناً وميتاً، للحظة إنتابه شعور أنه الإنسان الأخير على الأرض
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
وبمجرد أن يضع رأسه على الوسادة، كان يغط في نوم ثقيل بلا أحلام
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
وفي الذاكرة يختلط سير الوقائع أو تستمر في إعادة تشكيلها ونيل اهميتها بطريقة مختلفة كل مرة
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
كان يرى أنه كان من الممكن فعل الكثير من الاشياء في حياته، أكثر بكثير على الأرجح مما يمكنه ان يتخيل
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
لم يُرد ولا بأية حال من الأحوال أن يفقد السكينة التي نمت في داخله خلال السنوات
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
يستطيع المرء في النهاية أن يكون سعيداً في أي مكان
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Ama topallıyorsun." "Vadide belki," dedi Egger. "Dağda bir tek ben düzgün yürüyorum.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Das echte Liebesleid nistet sich an der Basis unserer Existenz ein, erwischt uns unerbittlich an unserem schwächsten Punkt, greift von da auf alles andere über und verteilt sich unaufhaltsam über unseren ganzen Körper und unser ganzes Leben. Wenn wir unglücklich verliebt sind, dienen unsere sämtlichen Leiden und Sorgen, vom Tod des Vaters bis hin zum banalsten Missgeschick, wie zum Beispiel einem verlegten Schlüssel, als neuerlicher Auslöser für den Urschmerz, der stets bereit ist, wieder anzuschwellen. Wessen Leben durch die Liebe auf den Kopf gestellt wird, so wie meines, der meint immer, zusammen mit dem Liebesleid würden auch alle anderen Sorgen ein Ende finden, und so rührt er unwillkürlich immer wieder an der Wunde in sich drinnen.
Orhan Pamuk (Masumiyet Müzesi)
Und ich denke heute, die Menschen, die in unserem Leben wirklich etwas bedeutet haben, können wir an den Fingern einer Hand abzählen und sehr oft sträubt sich sogar diese eine Hand gegen die Perversität, in welcher wir glauben, eine ganze Hand zum Abzählen dieser Menschen heranziehen zu müssen, wo wir doch, wenn wir ehrlich sind, wahrscheinlich ohne einen einzigen Finger auskommen.
Thomas Bernhard (Wittgenstein’s Nephew)
Seinen Traum zu leben ist ganz schön scheiße, wenn es ein schlechter Traum ist. Oder ein sehr langatmiger, in dem man die meiste Zeit nur lethargisch irgendwo rumliegt und alles reichlich ätzend findet.
Tobi Katze (Morgen ist leider auch noch ein Tag)
Immer wenn ich mich von einem Ort, der mir gefällt, verabschieden muss, habe ich das Gefühl, etwas von mir zurückzulassen. Wahrscheinlich besteht das Leben ganz unabhängig davon, ob man ein Vielreisender wie Marco Polo ist oder niemals in die Ferne zieht, aus einer Abfolge von Geburten und Toden. Ein Moment entsteht, ein Moment vergeht. Damit neue Erfahrungen an den Tag kommen können, müssen alte verblühen.
Elif Shafak (The Forty Rules of Love)
Ein alter, ewiger Fehler, den ich hundertmal begangen und bitter bereut habe, ist mir auch diesmal wieder passiert. Ich wollte mich einer Norm anpassen, ich wollte Forderungen erfüllen, die gar niemand an mich stellte,ich wollte etwas sein oder spielen, was ich gar nicht war. Und so war es mir wieder einmal geschehen, dass ich mich selbst und das ganze Leben vergewaltigt hatte. (aus Hermann Hesse, Kurgast)
Hermann Hesse
Life and the work on the mountain had left their mark. Everything about him was warped and crooked. His back seemed to be heading down towards the earth in a tight curve, and he increasingly had the feeling that his spine was growing up over his head. On the mountain his foothold was still firm, and not even the strong autumn downwinds could make him lose his balance, but he stood like a tree that was already rotten inside
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Sozusagen grundlos vergnügt Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen und dass es regnet, hagelt, friert und schneit. Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit, wenn Heckenrosen und Holunder blühen. - Dass Amseln flöten und das Immen summen, Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen. Dass rote Luftballons ins Blaue steigen. Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen. Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht und dass die Sonne täglich neu aufgeht. Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter, gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter, wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn. Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn! Ich freu mich. Das ist des Lebens Sinn. Ich freue mich vor allem. Dass ich bin. In mir ist alles aufgeräumt und heiter; Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt. An solchem Tag erklettert man die Leiter, die von der Erde in den Himmel führt. Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben, - weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben. Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne und an das Wunder niemals ganz gewöhne. Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu! Ich freue mich, dass ich… Dass ich mich freu.
Mascha Kaléko
Und inzwischen besteht das ganze Leben nur aus Zukunft. Jeden Augenblick deines Lebens lebst du für die Zukunft - du machst deinen Schulabschluss, damit du aufs College gehen kannst, damit du einen guten Job kriegst, damit du dir ein schickes Haus kaufen kannst, damit du deinen Kindern die Ausbildung finanzieren kannst, damit sie eine guten Job kriegen, damit sie sich ein schickes Haus kaufen können, damit sie ihren Kindern eine gute Ausbildung finanzieren können.
John Green (Paper Towns)
Ganz blind arbeitete er vorwärts, ohne jeden Ehrgeiz, nur um sich zu betäuben und nicht an die vielen Dinge zu denken, auf die er verzichten mußte. Er begriff, daß ein wunderbares Geheimnis in diesem Fieber war, mit dem sich viele Leute über die Nutzlosigkeit und Leere ihres ganzen Lebens hinwegtäuschten, und hoffte, so auch seinem Leben einen Sinn aufzwingen zu können, freilich vergessend, daß die erste Jugend nicht einen Sinn des Lebens will, sondern das ganze vielfältige Leben selbst.
Stefan Zweig (Scharlach / Sternstunden der Menschheit (German Edition))
Man muß nie verzweifeln, wenn einem etwas verloren geht, ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; es kommt alles noch herrlicher wieder. Was abfallen muß, fällt ab; was zu uns gehört, bleibt bei uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer als unsere Einsicht sind und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen. Man muß in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an alle seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte, dem gegenüber es nichts Vergangenes und Verlorenes gibt.
Rainer Maria Rilke
Das wirkliche Leben, meint er, sei ja so anders... Jedenfalls das seine, denkt er: da erkennt man keinen klaren Ablauf und keinen roten Faden, da zerrinnt es einfach, ohne Abschnitt und ohne Tat, die Leidenschaft zerrinnt in eine Stimmung, und auch die Entschlüsse sind wie Sand, der leise durch die Finger rinnt, immer wieder nimmt man eine neue Handvoll, und wenn man sie aufmacht, ist wieder nichts darin geblieben, man ist verzweifelt, und auch das zerrinnt, wie die Hoffnung und der Jubel und der Schmerz und alles, wie das ganze Leben.
Max Frisch (Antwort aus der Stille. Eine Erzählung aus den Bergen)
„Der Propagandaminister -- Herr über das geistige Leben eines Millionenvolkes -- humpelte behende durch die glänzende Menge, die sich vor ihm verneigte. Eine eisige Luft schien zu wehen, wo er vorbeiging. Es war, als sei eine böse, gefährliche, einsame und grausame Gottheit herniedergestiegen in den ordinären Trubel genusssüchtiger, feiger und erbärmlicher Sterblicher. Einige Sekunden lang war die ganze Gesellschaft wie gelähmt vor Entsetzen. Die Tanzenden erstarrten mitten in ihrer anmutigen Pose, und ihr scheuer Blick hing, zugleich demütig und hassvoll, an dem gefürchteten Zwerg. Der versuchte durch ein charmantes Lächeln, welches seinen mageren, scharfen Mund bis zu den Ohren hinaufzerrte, die schauerliche Wirkung, die von ihm ausging, ein wenig zu mildern; er gab sich Mühe, zu bezaubern, zu versöhnen und seine tief liegenden, schlauen Augen freundlich blicken zu lassen. Seinen Klumpfuß graziös hinter sich her ziehend, eilte er gewandt durch den Festsaal und zeigte dieser Gesellschaft von zweitausend Sklaven, Mitläufern, Betrügern, Betrogenen und Narren sein falsches, bedeutendes Raubvogelprofil.
Klaus Mann (Mephisto)
Für mich besteht die Photographie im gleichzeitigen blitzschnellen Erkennen der inneren Bedeutung der Tatsache einerseits, und auf der anderen Seite des strengen und rückhaltlosen Aufbaus der optisch erfaßbaren Formenwelt, die jede Tatsache zum Ausdruck bringt. Indem wir leben, entdecken wir uns selbst und gleichzeitig die Außenwelt, die auf uns einwirkt, auf die wir aber auch unsererseits einwirken können. Zwischen dieser inneren und äußeren Welt muß ein Gleichgewicht geschaffen werden, die beiden Welten bilden in einem immerwährenden Dialog ein einziges Ganzes, und den Begriff davon müssen wir mitzuteilen suchen.
Henri Cartier-Bresson (The Mind's Eye: Writings on Photography and Photographers)
Sein ganzes Leben eine unausgesetzte Schwächung, immer entwich irgendwas, ohne dass mal was hinzugekommen wäre. Nie ist etwas in Schwingung geraten, dabei hätte man nur mal eine Saite anzupfen müssen, früher, und gleich hätte das ganze Orchester mit eingestimmt. Er ist erfüllt, von oben bis unten ausgegossen mit diesem brennenden Schmerz, sein Herz ein blutender, schwerer Klumpen, der langsam nach unten durchsackt. Er steht auf und schleicht nach draußen, um sich dem Strom derer anzuschließen, die unverdaut wieder ausgespuckt wurden und nun verglühen in den Feuern der Einsamkeit. Wie lange erträgt man es, zu wissen, dass nichts mehr kommt?
Heinz Strunk (Die Zunge Europas)
Dichtung und Mythologie des Altertums deuten darauf hin, daß die Landwirtschaft einst als eine heilige Kunst geübt wurde. Bei uns aber wird sie mit einer unbekümmerten, nachlässigen Hast betrieben, die auf nichts anderes bedacht ist, als möglichst große Farmen zu besitzen und möglichst große Ernten einzubringen. [...] Geiz, Selbstsucht und die würdelose Angewohnheit, den Boden als Eigentum oder hauptsächlich als Mittel zum Erwerb von Eigentum zu betrachten, von der niemand unter uns sich ganz freisprechen kann, haben unsere Landschaft entstellt und unsere Landwirtschaft degradiert. Unser Farmer führt das denkbar niedrigste Leben. Er kennt die Natur nur als ihr Ausbeuter.
Henry David Thoreau (Walden)
Alles ist so vergeblich wie ein Herumstochern in Asche und so vage wie der Augenblick, bevor der Morgen graut. Und das Licht fällt so vollkommen und heiter auf die Dinge, vergoldet sie so prächtig mit traurig lächelnder Wirklichkeit! Das ganze Mysterium der Welt kommt herab zu mir, bis es vor meinen Augen Banalität und Straße wird. Wie sich doch Alltag und Geheimnis berühren in unserer unmittelbaren Nähe! Hier, an der lichten Oberfläche dieses vielschichtigen menschlichen Lebens, lächelt die Zeit ungewiss auf den Lippen des Mysteriums! Wie modern dies alles klingt! Und im Grunde so alt, so geheimnisvoll, mit einem so anderen Sinn behaftet als dem, der in all dem leuchtet!
Fernando Pessoa
As the ghostly apparitions continued to move within the television set before them – the Americans who, incomprehensibly, were at that moment high above their heads, strolling across the surface of the Moon – he felt mysteriously close and connected to the villagers down here on the darkened Earth, in a room in the parish hall that still smelled of fresh mortar.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Ich hätte gern eine Welt, in der das Ziel der Erziehung geistige Freiheit wäre und nicht darin bestünde, den Geist der Jugend in eine Rüstung zu zwängen, die ihn das ganze Leben lang vor den Pfeilen objektiver Beweise schützen soll. Die Welt braucht offene Herzen und geistige Aufgeschlossenheit, und das erreichen wir nicht durch starre Systeme, mögen sie nun alt oder neu sein.
Bertrand Russell
Wenn Sie in Ihrer Kindheit etwas tun wollten, was Ihren Eltern oder Lehrern nicht gefiel, hat man Sie vielleicht gefragt: „Wenn alle anderen von der Brücke springen, würdest du es deshalb doch auch nicht tun, oder?“ Damit ist gemeint, dass es keinen Sinn hat, eine Dummheit zu begehen, nur weil alle anderen es tun. Die Logik dahinter lautet: Denke lieber selbst, statt dich der grossen Masse der Menschen anzuschliessen. Das ist gar kein so schlechter Ratschlag, auch wenn er manchmal eher dazu missbraucht wird, Kontrolle auszuüben, als Menschen zu selbstständigem Denken anzuregen. Doch irgendwann sind Sie erwachsen, und dann sieht die Sache plötzlich ganz anders aus: Jetzt erwarten die Leute von Ihnen, dass Sie sich genauso verhalten wie sie. Und wenn Sie sich weigern, werden manche Ihrer Mitmenschen darauf ziemlich irritiert oder vielleicht sogar verärgert reagieren. Es sieht fast so aus, als würden sie Sie jetzt fragen: „Schliesslich springen alle Leute von der Brücke. Warum tust du es dann nicht auch?“ Zum Teufel mit den Leuten, die von der Brücke springen. Treffen Sie Ihre eigenen Entscheidungen. Leben Sie Ihr eigenes Leben.
Chris Guillebeau (Die Kunst, anders zu leben: Erschaffe deine eigenen Regeln und führe das Leben, das du dir wünschst)
Ölmek rezil bir iş," dedi. "Zamanla azalıyorsun. Birinde çabuk oluyor, bir başkasında iş uzayabiliyor. Doğumdan itibaren art arda kaybediyorsun: Önce ayak parmağını, sonra kolunu, önce bir dişini, sonra bütün dişlerini, önce bir hatıranı, sonra bütün hafızanı, böyle böyle, hiçbir şey kalmayıncaya kadar. Sonra senden kalan son artığı bir çukura atıyorlar, kürekle kapatıyorlar ve bitiyor.
Robert Seethaler (Ein ganzes Leben)
Der gute Kampf ist der, den wir im Namen unserer Träume führen. Wenn sie mit aller Macht in unserer Jugend aufflammen, haben wir zwar viel Mut, doch wir haben noch nicht zu kämpfen gelernt. Wenn wir aber unter vielen Mühen zu kämpfen gelernt haben, hat uns der Kampfesmut verlassen. Deshalb wenden wir uns gegen uns selber und werden zu unseren schlimmsten Feinden. Wir sagen, dass unsere Träume Kindereien, zu schwierig zu verwirklichen seien oder nur daher rührten, dass wir von den Realitäten des Lebens keine Ahnung hätten. Wir töten unsere Träume, weil wir Angst davor haben, den guten Kampf aufzunehmen. [...] Das erste Symptom, dass wir unsere Träume töten, ist, dass wir nie Zeit haben. Die meistbeschäftigen Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, waren zugleich auch die, die immer für alles Zeit hatten. Diejenigen, die nichts taten, waren immer müde, bemerkten nicht, wie wenig sie schafften, und beklagten sich ständig darüber, dass der Tag zu kurz sei. In Wahrheit hatten sie Angst davor, den guten Kampf zu kämpfen. Das zweite Symptom dafür, dass unsere Träume tot sind, sind unsere Gewissheiten. Weil wir das Leben nicht als ein grosses Abenteuer sehen, das es zu leben gilt, glauben wir am Ende, dass wir uns dem wenigen, was wir vom Leben erbeten haben, weise, gerecht und korrekt verhalten. {...] Das dritte Symptom für den Tod unserer Träume ist schließlich der Friede. Das Leben wird zu einem einzigen Sonntagnachmittag, verlangt nichts Grosses von uns, will nie mehr von uns, als wir zu geben bereit sind. Wir halten uns dann für reif, glauben, dass wir unsere kindischen Phantasien überwunden und die Erfüllung auf persönlicher und beruflicher Ebene erlangt haben. Wir reagieren überrascht, wenn jemand in unserem Alter sagt, dass er noch das oder jenes vom Leben erwartet. Aber in Wahrheit, ganz tief im Inneren unserer Herzens, wissen wir, dass wir es in Wirklichkeit nur aufgegeben haben, um unsere Träume zu kämpfen, den guten Kampf zu führen.
Paulo Coelho
Mir war nicht schrecklich zumute; ich war mir klar darüber, daß mich nicht mehr viel berührte, schon seit langer Zeit nicht mehr. Vielleicht war ich schon mein ganzes Leben lang so gewesen, genau wie manche Kinder taub oder ohne Tastsinn geboren werden; aber wenn das der Fall gewesen wäre, hätte ich das Fehlen von Gefühlen nicht bemerkt. Irgendwann mußte sich mein Hals geschlossen haben wie ein zufrierender Teich oder eine vernarbende Wunde und hatte mich in meinem Kopf eingeschlossen. Seitdem war alles von mir abgeprallt, es war, als steckte ich in einer Vase. Es war wie früher im Dorf, wo ich sehen, aber nicht hören konnte, weil ich die Sprache nicht verstand. Flaschen verzerren auch: Frösche im Marmeladenglas sehen breitgedrückt aus, für die muß ich ein grotesker Anblick gewesen sein.
Margaret Atwood (Surfacing)
Wir lassen etwas von uns zurück, wenn wir einen Ort verlassen, wir bleiben dort, obgleich wir wegfahren. Und es gibt Dinge an uns, die wir nur dadurch wiederfinden können, daß wir dorthin zurückkehren. Wir fahren an uns heran, reisen zu uns selbst, wenn uns das monotone Klopfen der Räder einem Ort entgegenträgt, wo wir eine Wegstrecke unseres Lebens zurückgelegt haben, wie kurz sie auch gewesen sein mag. Wenn wir den Fuß zum zweiten Male auf den Bahnsteig des fremden Bahnhofs setzen, die Stimmen aus den Lautsprechern hören, die unverwechselbaren Gerüche riechen, so sind wir nicht nur an dem fernen Ort angekommen, sondern auch in der Ferne des eigenen Inneren, in einem vielleicht ganz entlegenen Winkel unserer selbst, der, wenn wir anderswo sind, ganz im Dunkeln liegt und in der Unsichtbarkeit.
Pascal Mercier
Man muß alt werden [...] und Geld genug haben, seine Erfahrungen bezahlen zu können. Jedes Bonmot, das ich sage, kostet mir eine Börse voll Gold; eine halbe Million meines Privatvermögens ist durch meine Hände gegangen, um das zu lernen, was ich jetzt weiß, nicht allein das ganze Vermögen meines Vaters, sondern auch mein Gehalt und mein bedeutendes literarisches Einkommen seit mehr als funfzig Jahren. Außerdem habe ich anderthalb Millionen zu großen Zwecken von fürstlichen Personen ausgeben sehen, denen ich nahe verbunden war und an deren Schritten, Gelingen und Mißlingen ich teilnahm. Es ist nicht genug, daß man Talent habe, es gehört mehr dazu, um gescheit zu werden; man muß auch in großen Verhältnissen leben und Gelegenheit haben, den spielenden Figuren der Zeit in die Karten zu sehen und selber zu Gewinn und Verlust mitzuspielen.
Johann Wolfgang von Goethe (J. P. Eckermann Gespräche mit Goethe in den Letzten Jahren Seines Lebens (Classic Reprint) (German Edition))
Ich setzte mich an eines der großen Fenster, durch die man den Verkehr auf dem Largo beobachten konnte, ganz in der Nähe hatte der junge Thomas Mann mit der Niederschrift seiner Buddenbrooks begonnen, ich wusste das seit ewigen Zeiten, aber ich hatte mir nie vorstellen können, wie man angesichts der römischen Verhältnisse rings um diesen Largo ausgerechnet mit so etwas wie einer hanseatischen Kaufmannsgeschichte hatte beginnen k
Hanns-Josef Ortheil (Die Erfindung des Lebens)
Noch niemand ward von seinem Genius in die Irre geführt. Mag das Ergebnis auch körperliche Schwäche sein, so kann doch vielleicht niemand sagen, dass die Folgen zu bedauern seien, denn dieses Leben war höheren Grundsätzen gemäß. Wenn uns Tag und Nacht so erscheinen, dass wir sie mit Freude begrüßen, wenn das Leben einen Duft ausströmt wie Blumen und würzige Kräuter, wenn es spannkräftiger, sternenreicher und mehr unsterblich wird – dann ist dies unser Erfolg. Die ganze Natur beglückwünscht uns, und wir haben Grund, uns einen Augenblick lang selig zu preisen. Die reichsten Gewinste, die höchsten Werte, werden am seltensten geschätzt. Wir kommen nur zu leicht dahin, an ihrem Dasein zu zweifeln. Wir vergessen sie bald. Und doch sind sie höchste Wirklichkeit… Die wahre Ernte meines täglichen Lebens ist etwas so Unfassbares, Unbeschreibliches wie Himmelsfarben am Morgen und Abend. Ein wenig Sternenstaub, ein Stückchen Regenbogen – das ist alles.
Henry David Thoreau (Walden)
Was das Leben sonst auch sein mag, auf der Ebene der Chemie ist es erstaunlich profan: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff, ein wenig Calcium, ein Schuss Schwefel, eine kleine Prise von ein paar anderen ganz gewöhnlichen Elementen - nichts, was man nicht in jeder normalen Apotheke finden würde -, das ist alles, was man braucht. Das einzig Besondere an den Atomen, die Sie bilden, besteht darin, dass sie Sie bilden. Und das ist natürlich das Wunder des Lebens.
Bill Bryson
Noch nie im Leben hatte sie einen Seidenstrumpf gesehen. Damals in jenem bewussten Jahr, hatte sie, wenn sie besonders schön sein wollte, einen weißen, ganz dünn gestrickten Zwirnstrumpf unter ihre schwarzen Spangenschuhe gezogen ... aber dieser Strumpf war eigentlich nur eine symbolische Handlung gewesen, denn genauso wenig wie einer jener mächtigen Unterröcke mit Volants war der weiße Strumpf je unter den langen Röcken zum Vorschein gekommen. Junge Mädchen hatten nur Fußspitzen.
Else Hueck-Dehio (Ja, damals. Zwei heitere estländische Geschichten)
Unsereiner ist mit wenig zufrieden, und doch wieder bloß mit dem Höchsten. Zwischen Schmerzen und Verzweiflung und würgendem Lebensekel immer wieder für einen heiligen Augenblick auf die Frage nach dem Sinn dieses so schwer erträglichen Lebens ein Ja zu hören, werde es auch im nächsten Augenblick schon wieder von der trüben Flut überspühlt, das genügt uns, davon leben wir wieder eine ganze Weile weiter, und leben nicht nur, ertragen das Leben nicht nur, sondern lieben und preisen es.
Hermann Hesse (Die Nürnberger Reise)
Schwesternschaft ist mir ein inneres Bedürfnis, denn um mich herum leben zahllose glänzende, begabte, engagierte, unglaublich tolle Frauen, die meine ganze Unterstützung und Liebe verdienen. Sie und Frauen im Allgemeinen sollen von meiner zwischenmenschlichen Energie profitieren, die Männer brauchen mich nicht, um sich anerkannt, in ihren Lebensentscheidungen unterstützt und in ihren Werten bestätigt zu fühlen. Außerdem beruhen weibliche Beziehungen oft auf einer selbstverständlich in Gegenseitigkeit.
Pauline Harmange (Moi les hommes, je les déteste)
Das Meer war ein lebendiges Wesen, so unberechenbar wie ein großer Theaterschauspieler: es konnte ruhig und freundlich sein, konnte sein Publikum mit offenen Armen willkommen heißen und schon im nächsten Moment sein stürmisches Temperament unter Beweis stellen, Menschen herumschleudern, als wollte es sie hinauswerfen, konnte Küsten attackieren und ganze Inseln zerstören. Es hatte verspielte Seiten, es mochte die Menschen, schaukelte Kinder, kippte Luftmatratzen, brachte Windsurfer aus dem Gleichgewicht, ging aber gelegentlich auch Seeleuten helfend zur Hand – alles mit einem verschmitzten Kichern.
Cecelia Ahern (Zeit deines Lebens)
Aber welche Absicht hatte er eigentlich gehabt? In diesem Augenblick hätte er sich nur noch der Philosophie zuwenden können. Aber die Philosophie in diesem Zustand, worin sie sich damals befand, erinnerte ihn an die Geschichte der Dido, wo eine Ochsenhaut auf Riemen geschnitten wird, während es sehr ungewiß blieb, ob man auch wirklich ein Königreich damit umspannt; und was sich von Neuem ansetzte, war von ähnlicher Art wie das, was er selbst getrieben hatte, und vermochte ihn nicht zu verlocken. Er konnte nur sagen, daß er sich von dem, was er eigentlich hatte sein wollen, weiter entfernt fühlte als in seiner Jugend, falls es ihm nicht überhaupt ganz und gar unbekannt geblieben war. In wundervoller Schärfe sah er, mit Ausnahme des Geldverdienens, das er nicht nötig hatte, alle von seiner Zeit begünstigten Fähigkeiten und Eigenschaften in sich, aber die Möglichkeit ihrer Anwendung war ihm abhandengekommen; und da es schließlich, wenn schon Fußballspieler und Pferde Genie haben, nur noch der Gebrauch sein kann, den man von ihm macht, was einem für die Rettung der Eigenheit übrigbleibt, beschloß er, sich ein Jahr Urlaub von seinem Leben zu nehmen, um eine angemessene Anwendung seiner Fähigkeiten zu suchen.
Robert Musil (Der Mann ohne Eigenschaften (Comic-Adaption nach Robert Musil))
»Vermutlich ist Ihnen das Leben dieses afrikanischen Jungen egal. Wahrscheinlich erschrecken Sie jetzt viel mehr, wenn ich Ihnen verrate, dass das Fleisch auf Ihrem Porzellanteller kein Ibaiona-Schwein ist, sondern aus herkömmlicher Massentierhaltung stammt.« Auch wenn es kein Witz war, nutzten einige der Anwesenden den Moment für ein befreiendes Auflachen. »Ich bitte Sie, einmal den Teller zu heben.« Geschäftige Unruhe machte sich breit. Lautes Gemurmel brandete auf, als die Gäste ein Stück Papier fanden, das auf Wunsch Zaphires unter jedes Gedeck gelegt worden war. Lakonisch sagte er: »Was Sie jetzt in den Händen halten, ist ein Beipackzettel, wie er in Millionen von Medikamentenpackungen steckt. Und wie er jedem im Supermarkt gekauften Schnitzel beiliegen müsste: Tylosinphosphat, Olaquindox, Aminosidin, Clorsulon, Clavulansäure, Levamisol, Azaperon – die Liste ist endlos. Sogar Aspirin wurde von unserem Labor nachgewiesen. Und das ist ja auch ganz logisch.« Er räusperte sich und nippte kurz an dem bereitstehenden Wasserglas. »Wenn ich Sie hier alle anketten und in einem lichtlosen Raum auf wenigen Quadratmetern zusammenpferchen würde, wenn ich Ihnen wie den Schweinen im Stall unserer Fleischfabriken die Eckzähne herausbräche, damit Sie Ihren Platznachbarn nicht totbeißen können, und wenn ich Sie dann mit genmanipuliertem Billigfraß und Wachstumshormonen in Blitzgeschwindigkeit bis zur Schlachtreife hochmästen würde, die nebenbei bemerkt viele der Anwesenden hier im Saal schon längst überschritten haben, dann ist es klar, dass mein Massenmenschschlachtungs-Geschäftsmodell ohne Einsatz von Schmerzmitteln, Antibiotika, Psychopharmaka und Antiparasitika nicht auskommen könnte, ganz zu schweigen von den Tonnen an Sedativa, damit Sie auf dem Transport zum Schlachthof nicht randalieren, bevor ich Sie dort lebendig in ein Brühbad kippen kann.«
Sebastian Fitzek (Noah)
Im Grunde wissen in den Jahren der Lebensmitte wenig Menschen mehr, wie sie eigentlich zu sich selbst gekommen sind, zu ihren Vergnügungen, ihrer Weltanschauung, ihrer Frau, ihrem Charakter, Beruf und ihren Erfolgen, aber sie haben das Gefühl, daß sich nun nicht mehr viel ändern kann. Es ließe sich sogar behaupten, daß sie betrogen worden seien, denn man kann nirgends einen zureichenden Grund dafür entdecken, daß alles gerade so kam, wie es gekommen ist; es hätte auch anders kommen können; die Ereignisse sind ja zum wenigsten von ihnen selbst ausgegangen, meistens hingen sie von allerhand Umständen ab, von der Laune, dem Leben, dem Tod ganz anderer Menschen, und sind gleichsam bloß im gegebenen Zeitpunkt auf sie zugeeilt. So lag in der Jugend das Leben noch wie ein unerschöpflicher Morgen vor ihnen, nach allen Seiten voll von Möglichkeiten und Nichts, und schon am Mittag ist mit einemmal etwas da, das beanspruchen darf, nun ihr Leben zu sein, und das ist im ganzen doch so überraschend, wie wenn eines Tags plötzlich ein Mensch dasitzt, mit dem man zwanzig Jahre lang korrespondiert hat, ohne ihn zu kennen, und man hat ihn sich ganz anders vorgestellt. Noch viel sonderbarer aber ist es, daß die meisten Menschen das gar nicht bemerken; sie adoptieren den Mann, der zu ihnen gekommen ist, dessen Leben sich in sie eingelebt hat, seine Erlebnisse erscheinen ihnen jetzt als der Ausdruck ihrer Eigenschaften, und sein Schicksal ist ihr Verdienst oder Unglück.
Robert Musil
All diese Sterne mit ihren Planeten sind mein. Dieser ganze unfassbare Roman ist der Bereich, in dem mein Wille geschieht und mein Wort Gesetz ist. Aber Macht, wirkliche Macht ist niemals Macht über Dinge, nicht einmal über Sonnen und Planeten. Macht ist immer nur Macht über Menschen. Und meine Macht ist nicht nur die Macht der Waffen und der Gewalt; ich habe auch Macht über die Herzen und die Gedanken der Menschen. Billionen und aberbillionen von Menschen leben auf diesen Planeten, und sie gehören alle mir. Keiner von ihnen verbringt einen Tag ohne einen Gedanken an mich. Sie verehren mich, sie lieben mich; ich bin der Mittelpunkt ihrer aller Leben. Er sah Jubad an. Niemals zuvor war ein Reich größer als das meine. Niemals zuvor hat ein Mensch mehr Macht gehabt als ich.
Eschbach Andreas
Eines Tages betrachtete mein Freund sein Bild im Spiegel. Sah zu, wie perfekt sein Spiegelbild seine Grimassen und Verrenkungen nachmachte, wie vollkommen es die Wirklichkeit imitierte. Und er dachte: Ich will so werden wie dieses Wesen im Spiegel. Ich will genauso gut das Leben imitieren können. Ich will genauso einsam sein." Der Schattenkönig verstummte für einen Augenblick. "Klingt so, als ob dein Freund kurz davor war, den Verstand zu verlieren", rutschte es mir heraus. "So, als ob er mal den Kopfdoktor konsultieren sollte." Der Schattenkönig lachte schrecklich. "Ja, das dachte er auch manchmal. Aber die Krankheit erreichte nie dieses gnädige Ausmaß, das ihm den Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt eingebracht und die Arbeit erspart hätte. Zum Irren langte es nicht ganz. Nur zum Dichter.
Walter Moers (The City of Dreaming Books (Zamonia, #4))
Die Hindernisse, die Menschen im Leben erfahren und die sie dazu veranlassen, zu glauben, sie könnten nicht das Leben führen, für das sie sehr wohl ausgerüstet wären, sind auch häufig Konstruktionen, um das Leben von sich fernzuhalten, um Talente nicht umsetzen und Ideale nicht verwirklichen zu müssen, um ein hehres Selbstbild aufrechtzuerhalten, das niemals an der Realität gemessen zu werden braucht, weil ein anderer für das eigene Unvermögen verantwortlich gemacht wird. Frauen und Männer, die sich aus dem immensen Angebot einen Partner ausgewählt haben, bei dem sie zu kurz kommen, weil er ihnen systematisch Zärtlichkeit, Begehren, Anerkennung, Unterstützung, Lob und grundlegendes Interesse vorenthält, können bequem an dem Idealbild festhalten, dass sie selbst reichlich mit allen diesen Qualitäten ausgestattet seien, bei ihrem Lebenspartner aber nicht damit zum Zuge kämen.
Connie Palmen (Ganz der Ihre)
Es gab ein hohes Gesetz der Schöpferkraft, das Kondraschow lange genug kannte. Er versuchte, ihm nicht zu gehorchen, und mußte sich ihm von neuem hilflos unterwerfen. Dieses Gesetz lautete, daß alles, was er früher geschaffen hatte, kein Gewicht besaß, nicht in Rechnung gestellt, dem Künstler nicht als Verdienst angerechnet werden durfte. Nur diese einzige Leinwand, die er hier und jetzt gerade bemalte, war der Mittelpunkt seiner Lebenserfahrung, der Höhepunkt seiner Fähigkeiten und seines Verstandes, der erste Prüfstein seines Talents. Und so oft versagte er! Jedes der vorherigen Bilder mißlang, wenn es gerade versprach zu gelingen, aber die frühere Verzweiflung war vergessen, jetzt galt nur dieses einzige – es war das erste, das ihm zu seiner künstlerischen Eigenständigkeit verhelfen sollte! Gelang es nicht, so war dieses ganze Leben umsonst, und er hatte kein, aber auch gar kein Talent!
Alexander Solschenizyn (Der erste Kreis der Hölle)
In der Folge entspinnt sich die merkwürdige Beziehung des Bibliomanen zu seinen Abertausenden von Büchern. Dies ist dieselbe Beziehung, wie der Gärtner sie zu einer wuchernden Kletterpflanze hat: Die Pflanze entwickelt sich von selbst, für das bloße Auge zunächst unsichtbar, aber doch mit einer Energie, deren Ergebnis nach wenigen Wochen deutlich sichtbar ist; dem Menschen bleibt, so er sie nicht zurechtstutzen will, nur die Möglichkeit, sie in die eine oder andere Richtung zu lenken, in die sie seiner Ansicht nach wachsen sollte. Auf diese Weise vermehren sich auch kräftig treibende Bibliotheken, aus sich heraus, wie lebende Wesen. („Wer sich eine Bibliothek aufbaut, der baut sich ein ganzes Leben auf. Sie ist nämlich nie die Summe ihrer einzelnen Exemplare.“) Wir haben die Themen vorgegeben, die Leittriebe, entlang deren sie sich entwickeln, ansonsten aber bleiben wir Beobachter und sehen zu, wie sie zuerst alle Wände eines Zimmers überzieht, bis zur Decke hinaufklettert, ein anderes Zimmer annektiert, dann ein weiteres und so fort, bis sie alles verdrängt hat, was ihr im Wege war. Sie verscheucht alle Bilder, die etwa noch an den Wänden hingen, jeden anderen Einrichtungsgegenstand, der ihrer Konsultation im Wege steht. Sie verschiebt ihr Gefüge mitsamt ihren unentbehrlichen, raumgreifenden Adjutanten wie Tritthockern oder Stehleitern. Sie zwingt uns zu ständigem Umräumen, da ihre Entwicklung nie eindimensional verläuft und stets neue Unterabteilungen verlangt. Auf diese Weise wird sie gleichzeitig und unleugbar zur Widerspiegelung, zum Doppelgänger ihres Besitzers. Für den, der ihre subtilen Baupläne zu lesen versteht, entsteht aus den Regalen ein Charakterbild ihres Bibliothekars. Im Übrigen ähnelt keine ernstzunehmende Bibliothek einer anderen, keine besitzt je dieselbe Persönlichkeit.
Jacques Bonnet
Enttäuschung und Frustration werden [...] alle erleben, die sich wie im Märchen danach sehnen, Glück in einem Schlaraffenland zu finden ... Nur, dass unser Schlaraffenland nicht ein großer Berg von süßem Brei ist ... wir haben andere Fantasien und Bilder von Fülle und Erfülltheit in einem imaginären Schlaraffenland, das nur eben unglücklicherweise niemals dort ist, wo wir tatsächlich leben. Vielmehr leben wir mit der Hoffnung auf ein Glück, das uns das Schicksal irgenwann einmal gewähren müsse. [...] So können wir das Schlaraffenland je nach unserer eigenen Fasson ausgestalten - und wir tun es. Privat und auch gesellschaftlich. Doch sobald wir anfangen, uns mit diesem Glücksmodell anzufreunden, und gespannt darauf warten, wie im Lotto das große Los zu ziehen, werden wir auf einem Weg sein, wo das Glück ganz bestimmt nicht zu uns findet! Wir bleiben hungrig und ungesättigt. Denn geheimnisvollerweise ist das Glück dort, wo wir Bezogenheit leben - selbst in dem unspektatulärsten Tun des Alltags.
Joachim Gauck (Freiheit. Ein Plädoyer)
Die Zeit, dies große Geschenk der Gottheit, von so vielen auf das undankbarste vernachlässigt, muß dem Studierenden kostbarer, als fast jedem andern Stande seyn, vor allen andern aber ist die Periode der akademischen Jahre bis auf die kleinste Minute schätzenswerth und wichtig. [...] Um Zeit zu gewinnen, muß man sie theils dem übermäßigen langen Schlafe entziehn, theils die zu vielen, dem zweckwidrigen Vergnügen bestimmten Stunden aus seinem Plane streichen. Man darf nur täglich zwey Stunden früher als bisher aufstehen, so sind, wenn man vier Jahre auf der Universität zugebracht hat, siebenzehn volle Wochen gewonnen! Ein unendlich wichtiger Zeitüberfluß, binnen vier Jahren siebenzehn Wochen länger zu leben. Besiegt man seine Schlafsucht auch nach Verlauf der akademischen Lebenszeit [...], so lebt man alle zwölf Jahre ein ganzes Jahr länger, und hat drey Jahre mehr Erfahrungen und mehr Kenntnisse gesammelt. Vertraute Briefe an alle edelgesinnte Jünglinge die auf Universitäten gehen wollen. Leipzig 1792, S.120ff.
Carl Heun
„Ich weiß schon,“ sagte er resigniert, „es ist die alte Geschichte. Nur nicht Ernst machen! Aber ich will dir etwas sagen —: hier ist einer von den Punkten, wo man den Mangel in dieser Religion sehr deutlich sehen kann. Es handelt sich darum, daß dieser ganze Gott, alten und neuen Bundes, zwar eine ausgezeichnete Figur ist, aber nicht das, was er doch eigentlich vorstellen soll. Er ist das Gute, das Edle, das Väterliche, das Schöne und auch Hohe, das Sentimentale — ganz recht! Aber die Welt besteht auch aus anderem. Und das wird nun alles einfach dem Teufel zugeschrieben, und dieser ganze Teil der Welt, diese ganze Hälfte wird unterschlagen und totgeschwiegen. Gerade wie sie Gott als Vater alles Lebens rühmen, aber das ganze Geschlechtsleben, auf dem das Leben doch beruht, einfach totschweigen und womöglich für Teufelszeug und sündlich erklären! Ich habe nichts dagegen, daß man diesen Gott Jehova verehrt, nicht das mindeste. Aber ich meine, wir sollen Alles verehren und heilig halten, die ganze Welt, nicht bloß diese künstlich abgetrennte, offizielle Hälfte! Also müssen wir dann neben dem Gottesdienst auch einen Teufelsdienst haben. Das fände ich richtig. Oder aber, man müßte sich einen Gott schaffen, der auch den Teufel in sich einschließt, und vor dem man nicht die Augen zudrücken muß, wenn die natürlichsten Dinge von der Welt geschehen.
Hermann Hesse (Demian)
[…] Ich möchte aber gern noch einmal auf meinen Ratschlag zurückkommen; ich finde nämlich, dass du dein Leben radikal ändern und ganz mutig Dinge in Angriff nehmen solltest, die dir früher nie in den Sinn gekommen wären oder vor denen du im letzten Moment zurückgeschreckt bist. So viele Leute sind unglücklich mit ihrem Leben und schaffen es trotzdem nicht, etwas an ihrer Situation zu ändern, weil sie total fixiert sind auf ein angepasstes Leben in Sicherheit, in dem möglichst alles gleichbleibt – alles Dinge, die einem scheinbar inneren Frieden garantieren. In Wirklichkeit wird die Abenteuerlust im Menschen jedoch am meisten durch eine gesicherte Zukunft gebremst. Leidenschaftliche Abenteuerlust ist die Quelle, aus der der Mensch die Kraft schöpft, sich dem Leben zu stellen. Freude empfinden wir, wenn wir neue Erfahrungen machen, und von daher gibt es kein größeres Glück als in einem immer wieder wechselnden Horizont blicken zu dürfen, an dem jeder Tag mit einer neuen ganz anderen Sonne anbricht. Wenn du mehr aus deinem Leben machen willst, Ron, dann muss du deine Vorliebe für monotone, gesicherte Verhältnisse ablegen und das Chaos in dein Leben lassen, auch wenn es dir am Anfang verrückt erscheinen mag. Aber sobald du dich an ein solches Leben einmal gewöhnt hast, wirst du die volle Bedeutung erkennen, die darin verborgen liegt, und die schier unfassbare Schönheit. Um es auf den Punkt zu bringen, Ron: Geh fort raus Salton City und fang an zu reisen. […] Sei nicht so träge und bleib nicht einfach immer am selben Platz. Beweg dich, reise, werde ein Nomade, erschaffe dir jeden Tag einen neuen Horizont. Du wirst noch so lange leben, Ron, und es wäre eine Schande, wenn du die Gelegenheit nicht nutzen würdest, dein Leben von Grund auf zu ändern, um in ein vollkommen neues Reich der Erfahrungen einzutreten. Es stimmt nicht, wenn du glaubst, dass Glück einzig und allein zwischenmenschlichen Beziehungen entspringt. Gott hat es überall um uns herum verteilt. Es steckt in jeder kleinen Erfahrung, die wir machen. Wir müssen einfach den Mut haben, uns von unserem gewohnten Lebensstil abzukehren und uns auf ein unkonventionelles Leben einzulassen. Vor allem möchte ich dir sagen, dass du weder mich noch sonstwen brauchst, um dieses neue, hoffnungsfroh schimmernde Licht in dein Leben zu bringen. Du musst nur zur Tür hinausgehen und die Hand danach ausstrecken und schon ist es dein. Du selbst bist dein einziger Feind, du und deine Sturheit, mit der du dich weigerst, dich auf etwas Neues einzulassen. […] Du wirst staunen, was es alles zu sehen gibt, und du wirst Leute kennenlernen, von denen man eine Menge lernen kann. Aber mach es ohne viel Geld, keine Motels, und dein Essen kochst du dir selbst. Je weniger du ausgibst, desto höher der Erlebniswert. […]
Jon Krakauer (Into the Wild)
Und plötzlich bemerke ich zum ersten Mal, dass das hier vermutlich einfach die erste Ruhe nach einem etwa zehnjährigen Sturm ist. Ein Sturm, der mit Ende der Schulzeit plötzlich laut und alles verschlingend losbricht. Ein Sturm der Hysterie, ausgelöst von dem Gedanken, nun endlich erwachsen zu sein, unabhängig, frei! Die Schule ist die letzte Kette, die uns an ein scheinbar fremdbestimmtes Leben bindet. Und wenn man das hinter sich lässt, das Abschlusszeugnis noch in den vor Erregung feuchten Händen, tobt plötzlich alles los. Alles rast, alles dreht sich, das ganze Leben explodiert in irren , leuchtenden Farben und regnet in Form unendlicher Möglichkeiten auf uns herab. Und wirklich nichts macht uns Angst! Alles ist aufregend und neu und so sexy, weil wir selbst bestimmen dürfen, ja sollen, was von diesem enormen Buffet der Chancen in unsere Mägen wandern soll und was nicht. Und so stopfen wir uns voll und schwärmen aus und suchen uns erste eigene Wohnungen, erste Jobs, verdienen unser erstes Geld und geben es mit wirren Augen und unkontrolliert schleudernden Armen aus und kaufen billige, aber eigene Autos, tanzen und ficken, mit wem wir wollen, wir verhüten nur unzureichend, aber wir werden nicht schwanger und AIDS ist so 90er, und wir tanzen noch mehr und trinken und kiffen und ficken und sind ganz erregt von unserer Reife. Wir spielen erwachsen, wie die Großen, und es fetzt, und wir haben doch noch so viel Zeit!
Sarah Kuttner (Wachstumsschmerz)
Aus dem Nachbargarten schallen fröhliche Stimmen herüber. Dora geht zur Mauer und steigt auf den Stuhl. Ein Fußballspiel ist in vollem Gang. Gote gegen Franzi und Jochen. Die Taktik der Mädchen-Hund-Mannschaft besteht darin, Gotes Beine zu umklammern beziehungsweise sich in seinen Stiefeln zu verbeißen, um ihn am Laufen zu hindern. Im Pulk schieben sie sich Richtung Tor, das von zwei Bierkästen markiert wird, wobei der Ball eine Nebenrolle spielt. Laut tönt Franzis Lachen herüber. Auf einmal begreift Dora, was zwischen Eltern und Kindern ist. Da findet eine Liebe statt, so abgrundtief und grenzenlos, dass sie das Fassungsvermögen des Verstands übersteigt. Auf der Rückseite dieser Liebe wohnt die Angst, einander zu verlieren. Ebenso grenzenlos, ebenso abgrundtief. Das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann. Eine maßlose Übertreibung, ein Unfall der Natur. Vielleicht angemessen für ein Tier, das seine Jungen unter Einsatz seines Lebens verteidigen muss. Aber nicht für Menschen. Ein Tier weiß nichts von der Zukunft. Es läuft nicht herum und fragt sich die ganze Zeit, was als Nächstes passiert. Es kann seine Jungen versorgen und beschützen, ohne Vorstellung von den vielfältigen möglichen Katastrophen, die sie bedrohen. Aber Lebewesen, denen die Evolution ein Bewusstsein verliehen hat, ein Zeitgefühl und das Wissen um die Vergänglichkeit allen Seins, sollten nicht mit derart uferlosen Gefühlen ausgestattet sein. Das ist pervers. Kein Wunder, dass die Menschen immer neurotischer werden.
Juli Zeh (Über Menschen)
Wer sich einmal anschaulich macht, wie nach Sokrates, dem Mystagogen der Wissenschaft, eine Philosophenschule nach der anderen, wie Welle auf Welle, sich ablöst, wie eine nie geahnte Universalität der Wissensgier in dem weitesten Bereich der gebildeten Welt und als eigentliche Aufgabe für jeden höher Befähigten die Wissenschaft auf die hohe See führte, von der sie niemals seitdem wieder völlig vertrieben werden konnte, wie durch diese Universalität erst ein gemeinsames Netz des Gedankens über den gesammten Erdball, ja mit Ausblicken auf die Gesetzlichkeit eines ganzen Sonnensystems, gespannt wurde; wer dies Alles, sammt der erstaunlich hohen Wissenspyramide der Gegenwart, sich vergegenwärtigt, der kann sich nicht entbrechen, in Sokrates den einen Wendepunkt und Wirbel der sogenannten Weltgeschichte zu sehen. Denn dächte man sich einmal diese ganze unbezifferbare Summe von Kraft, die für jene Welttendenz verbraucht worden ist, nicht im Dienste des Erkennens, sondern auf die praktischen d.h. egoistischen Ziele der Individuen und Völker verwendet, so wäre wahrscheinlich in allgemeinen Vernichtungskämpfen und fortdauernden Völkerwanderungen die instinctive Lust zum Leben so abgeschwächt, dass, bei der Gewohnheit des Selbstmordes, der Einzelne vielleicht den letzten Rest von Pflichtgefühl empfinden müsste, wenn er, wie der Bewohner der Fidschiinseln, als Sohn seine Eltern, als Freund seinen Freund erdrosselt: ein praktischer Pessimismus, der selbst eine grausenhafte Ethik des Völkermordes aus Mitleid erzeugen könnte – der übrigens überall in der Welt vorhanden ist und vorhanden war, wo nicht die Kunst in irgend welchen Formen, besonders als Religion und Wissenschaft, zum Heilmittel und zur Abwehr jenes Pesthauchs erschienen ist.
Friedrich Nietzsche (Die Geburt der Tragodie, Unzeitgemasse Betrachtungen I-III: (1872-74), Aus: Werke: Kritische Gesamtausgabe, Abt. 3, Bd. 1)
Sehr oft werde ich nach meinem Lieblingskomponisten gefragt - eine typische Frage von Laien an Musiker, eine, die wir Musiker uns gegenseitig wohl eher selten stellen. Vielleicht weil wir sie vordergründig als banal empfinden. Vielleicht auch, weil eine direkte Antwort darauf, ehrlich gesagt, unmöglich ist. Musik ist zu meinem Leben geworden. Nichts von dem, was ich tue, hat nicht irgendwas mit Musik zu tun. Ich habe Werke berühmter und weniger bekannter Komponisten einstudiert und dirigiert, aus ganz unterschiedlichen Epochen. Ich habe versucht, sie zu verstehen. Unzählige Stunden habe ich darüber nachgedacht, wie die Orchester, die ich dirigiere, die Werke spielen könnten, um dem Publikum die darin liegenden Aussagen nahe zubringen. Ich habe mich bemüht, bis zum Kern der Kompositionen vorzudringen und so mancher Rätselhaftigkeit auf die Spur zu kommen. Ich tue es heute noch. So sind mir meist die Komponisten, mit deren Werken ich mich gerade intensiv beschäftige, am präsentesten und vielleicht in dem Moment auch am nächsten. Aber sind sie mir dann auch die liebsten ? Ich weiß es nicht. Meine Entdeckungsreise durch die Welt der klassischen Musik, die vor sechzig Jahren an der Westküste Kaliforniens in einem Fischerdorf begann, ist längst nicht zu Ende. Im Gegenteil : Meine künstlerische Neugier treibt mich täglich weiter in diese faszinierte Welt hinein, deren Umfang immer größer wird, je tiefer ich in sie vordringe. Die Welt der Musik gleicht unserem expandierenden Universum. Je mehr ich mich mit Musik befasse, desto weniger meine ich über sie zu wissen. Wie also sollte ich diese offenbar gar nicht so banale Frage nach meinem Lieblingskomponisten beantworten ? Vielleicht, indem ich sie anders formuliere : "In deiner freien Zeit, in Stunden, die nicht verplant sind und ganz dir gehören - welche Musik würdest du dann für dich spielen ?" Die Antwort darauf ist viel einfacher. Es ist die Musik von Johann Sebastian Bach. Das sage ich ohne den Hauch eines Zweifels. Von frühester Kindheit an hat mich Bach verfolgt und ich ihn. Bis heute. Seine Musik lässt mich nicht los. Ihre Tiefe ist unendlich. Sie vereint alles, was klassische Musik ausmacht. Und bis heute bin ich auf der Suche nach dem Warum.
Kent Nagano Erwarten Sie Wunder
Hat schon jemand den Hymnus des Exils gedichtet, dieser schicksalsschöpferischen Macht, die im Sturz den Menschen erhöht, im harten Zwange der Einsamkeit neu und in anderer Ordnung die erschütterten Kräfte der Seele sammelt? Immer haben die Künstler das Exil nur angeklagt als scheinbare Störung des Aufstiegs, als nutzloses Intervall, als grausame Unterbrechung. Aber der Rhythmus der Natur will solche gewaltsame Zäsuren. Denn nur wer um die Tiefe weiß, kennt das ganze Leben. Erst der Rückschlag gibt dem Menschen seine volle vorstoßende Kraft. Der schöpferische Genius, er vor allem braucht diese zeitweilig erzwungene Einsamkeit, um von der Tiefe der Verzweiflung, von der Ferne des Ausgestoßenseins den Horizont und die Höhe seiner wahren Aufgabe zu ermessen. Die bedeutsamsten Botschaften der Menschheit, sie sind aus dem Exil gekommen, die Schöpfer der großen Religionen, Moses, Christus, Mohammed, Buddha, alle mußten sie erst eingehen in das Schweigen der Wüste, in das Nicht-unter-Menschen-Sein, ehe sie entscheidendes Wort erheben konnten. Miltons Blindheit, Beethovens Taubheit, das Zuchthaus Dostojewskis, der Kerker Cervantes', die Einschließung Luthers auf der Wartburg, das Exil Dantes und Nietzsches selbstwillige Einbannung in die eisigen Zonen des Engadins, alle waren sie gegen den wachen Willen des Menschen geheim gewollte Forderung des eigenen Genius. Aber auch in der niedern, in der irdischeren, in der politischen Welt schenkt ein zeitweiliges Außensein dem Staatsmann neue Frische des Blicks, ein besseres Überdenken und Berechnen des politischen Kräftespiels. Nichts Glücklicheres kann darum einer Laufbahn geschehen als ihre zeitweilige Unterbrechung, denn wer die Welt einzig immer nur von oben sieht, aus der Kaiserwolke, von der Höhe des elfenbeinernen Turmes und der Macht, der kennt nur das Lächeln der Unterwürfigen und ihr gefährliches Bereitsein: wer immer selbst das Maß in Händen hält, verlernt sein wahres Gewicht. Nichts schwächt den Künstler, den Feldherrn, den Machtmenschen mehr als das unablässige Gelingen nach Willen und Wunsch; erst im Mißerfolg lernt der Künstler seine wahre Beziehung zum Werk, erst an der Niederlage der Feldherr seine Fehler, erst an der Ungnade der Staatsmann die wahre politische Übersicht. Immerwährender Reichtum verweichlicht, immerwährender Beifall macht stumpf; nur die Unterbrechung schafft dem leerlaufenden Rhythmus neue Spannung und schöpferische Elastizität. Nur das Unglück gibt Tiefblick und Weitblick in die Wirklichkeit der Welt. Harte Lehre, aber Lehre und Lernen ist jedes Exil: dem Weichlichen knetet es den Willen neu zusammen, den Zögernden macht es entschlossen, den Harten noch härter. Immer ist dem wahrhaft Starken das Exil keine Minderung, sondern nur Kräftigung seiner Kraft.
Stefan Zweig (Fouché)
Aber bald hatte ich das eine, bald das andere der Zimmer wiedergesehen, die ich im Laufe meines Lebens bewohnt hatte, und das führte dazu, dass ich sie mir alle während der langen Gedankenspiele, die meinem Erwachen folgten, vergegenwärtigte; – winterliche Zimmer, in denen man, sobald man sich hingelegt hat, den Kopf in einem Nest birgt, das man sich aus den verschiedensten Dingen zusammengeklaubt hat: einem Zipfel des Kopfkissens, dem Rand der Bettdecke, dem Ende eines Schals, der Bettkante, und einer Ausgabe der Débats roses*, die man schließlich nach Art der Vögel* zusammenfügt, indem man sich unablässig gegen sie drückt; in denen man in Frostzeiten ein Vergnügen darin findet, sich von der Außenwelt abgeschnitten zu fühlen (wie die Seeschwalbe, die ihr Nest am Boden einer Senke in der Erdwärme anlegt), und in denen man, da das Kaminfeuer die ganze Nacht hindurch brennt, in einer weiten Umhüllung aus warmer und rauchiger Luft schläft, die das Flackern der feuerfangenden Scheite durchzuckt, in einer Art von nicht greifbarem Alkoven, einer warmen Höhle, ausgehoben aus dem Schoße des Zimmers, einer glühenden Zone unsteter Temperaturen, durchweht von Luftzügen, die uns das Antlitz erfrischen und aus den Ecken kommen, aus Stellen in der Nähe der Fenster oder aus solchen, die vom Feuer entfernt sind und schon erkaltet; – sommerliche Zimmer, in denen man mit der lauen Nacht verschmelzen möchte, in denen das Mondlicht, auf den halbgeöffneten Läden ruhend, an das Fußende des Bettes seine Zauberleiter wirft, in denen man so gut wie unter freiem Himmel schläft wie eine Meise, die auf der Spitze eines Halmes von der Brise gewiegt wird; – manchmal auch das Louis-Seize-Zimmer*, so heiter, dass ich dort sogar am ersten Abend nicht allzu unglücklich gewesen war, und in dem die kleinen Säulen, die graziös die Decke trugen, mit so viel Anmut [16] auseinanderwichen, um den Platz des Bettes zu bezeichnen und freizugeben; manchmal dagegen auch jenes kleine Zimmer mit zu hoher Decke, in Form einer Pyramide ausgehoben über zwei Stockwerke hinweg und teilweise mit Mahagoni verkleidet, in dem ich vom ersten Augenblick an von dem unbekannten Geruch des Vetiver seelisch vergiftet wurde, überzeugt wurde von der Feindseligkeit der violetten Vorhänge und der anmaßenden Gleichgültigkeit der Pendeluhr, die lauthals vor sich hin plapperte als sei ich gar nicht vorhanden; – in dem ein sonderbarer und gnadenloser rechteckiger Standspiegel, schräg in eine der Ecken des Zimmers gelehnt, sich unverfroren aus dem kostbaren Ganzen meines gewohnten Gesichtsfeldes ein nicht vorgesehenes Quartier aushob; – in dem mein Denken, nachdem es sich stundenlang bemüht hatte, sich zu verrenken, sich zu strecken, um die genaue Gestalt dieses Zimmers anzunehmen und schließlich seinen ungeheuren Trichter bis zu ganzer Höhe auszufüllen, eine Reihe zäher Nächte durchlitten hatte, während ich auf meinem Bett ausgestreckt dalag, die Augen emporgewandt, die Ohren verängstigt, die Nase widerwillig, das Herz klopfend: bis dann schließlich die Gewohnheit die Farbe der Vorhänge verändert, die Uhr zum Schweigen gebracht, den schrägen und grausamen Spiegel Mitleid gelehrt, den Geruch des Vetiver* wenn auch nicht gänzlich vertrieben, so doch gemildert, und vor allem die offenkundige Höhe der Decke verringert haben würde.
Marcel Proust (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Band 1: Auf dem Weg zu Swann)
Wer nicht nur seine Nase zum Riechen hat, sondern auch seine Augen und Ohren, der spürt fast überall, wohin er heute auch nur tritt, etwas wie Irrenhaus-, wie Krankenhaus-Luft – ich rede, wie billig, von den Kulturgebieten des Menschen, von jeder Art »Europa«, das es nachgerade auf Erden gibt. Die Krankhaften sind des Menschen große Gefahr: nicht die Bösen, nicht die »Raubtiere«. Die von vornherein Verunglückten, Niedergeworfnen, Zerbrochenen – sie sind es, die Schwächsten sind es, welche am meisten das Leben unter Menschen unterminieren, welche unser Vertrauen zum Leben, zum Menschen, zu uns am gefährlichsten vergiften und in Frage stellen. Wo entginge man ihm, jenem verhängten Blick, von dem man eine tiefe Traurigkeit mit fortträgt, jenem zurückgewendeten Blick des Mißgebornen von Anbeginn, der es verrät, wie ein solcher Mensch zu sich selber spricht – jenem Blick, der ein Seufzer ist! »Möchte ich irgend jemand anderes sein!« so seufzt dieser Blick: »aber da ist keine Hoffnung. Ich bin, der ich bin: wie käme ich von mir selber los? Und doch – habe ich mich satt!«... Auf solchem Boden[863] der Selbstverachtung, einem eigentlichen Sumpfboden, wächst jedes Unkraut, jedes Giftgewächs, und alles so klein, so versteckt, so unehrlich, so süßlich. Hier wimmeln die Würmer der Rach- und Nachgefühle; hier stinkt die Luft nach Heimlichkeiten und Uneingeständlichkeiten; hier spinnt sich beständig das Netz der bösartigsten Verschwörung – der Verschwörung der Leidenden gegen die Wohlgeratenen und Siegreichen, hier wird der Aspekt des Siegreichen gehaßt. Und welche Verlogenheit, um diesen Haß nicht als Haß einzugestehn! Welcher Aufwand an großen Worten und Attitüden, welche Kunst der »rechtschaffnen« Verleumdung! Diese Mißratenen: welche edle Beredsamkeit entströmt ihren Lippen! Wieviel zuckrige, schleimige, demütige Ergebung schwimmt in ihren Augen! Was wollen sie eigentlich? Die Gerechtigkeit, die Liebe, die Weisheit, die Überlegenheit wenigstens darstellen – das ist der Ehrgeiz dieser »Untersten«, dieser Kranken! Und wie geschickt macht ein solcher Ehrgeiz! Man bewundere namentlich die Falschmünzer-Geschicklichkeit, mit der hier das Gepräge der Tugend, selbst der Klingklang, der Goldklang der Tugend nachgemacht wird. Sie haben die Tugend jetzt ganz und gar für sich in Pacht genommen, diese Schwachen und Heillos-Krankhaften, daran ist kein Zweifel: »wir allein sind die Guten, die Gerechten, so sprechen sie, wir allein sind die homines bonae voluntatis.« Sie wandeln unter uns herum als leibhafte Vorwürfe, als Warnungen an uns – wie als ob Gesundheit, Wohlgeratenheit, Stärke, Stolz, Machtgefühl an sich schon lasterhafte Dinge seien, für die man einst büßen, bitter büßen müsse: o wie sie im Grunde dazu selbst bereit sind, büßen zu machen, wie sie darnach dürsten, Henker zu sein. Unter ihnen gibt es in Fülle die zu Richtern verkleideten Rachsüchtigen, welche beständig das Wort »Gerechtigkeit« wie einen giftigen Speichel im Munde tragen, immer gespitzen Mundes, immer bereit, alles anzuspeien, was nicht unzufrieden blickt und guten Muts seine Straße zieht. Unter ihnen fehlt auch jene ekelhafteste Spezies der Eitlen nicht, die verlognen Mißgeburten, die darauf aus sind, »schöne Seelen« darzustellen, und etwa ihre verhunzte Sinnlichkeit, in Verse und andere Windeln gewickelt, als »Reinheit des Herzens« auf den Markt bringen: die Spezies der moralischen Onanisten und »Selbstbefriediger«.
Friedrich Nietzsche (Jenseits von Gut und Böse/Zur Geneologie der Moral)