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MADAME ARIANE ZWEITER HOF LINKS
Wer weise Frauen nach der Zukunft fragt, gibt ohne es zu wissen, eine innere Kunde vom Kommenden preis, die tausendmal prĂ€ziser ist als alles, was er dort zu hören bekommt. Ihn leitet mehr die TrĂ€gheit als die Neugier und nichts sieht weniger dem ergebenen Stumpfsinn Ă€hnlich, mit dem er der EnthĂŒllung seines Schicksals beiwohnt, als der gefĂ€hrliche, hurtige Handgriff, mit dem der Mutige die Zukunft stellt. Denn Geistesgegenwart ist ihr Extrakt; genau zu merken, was in der Sekunde sich vollzieht, entscheidender als Fernstes vorherzuwissen. Vorzeichen, AhnunÂgen, Signale gehen ja Tag und Nacht durch unsern Organismus wie WellenstöĂe. Sie deuten oder sie nutzen, das ist die Frage. Beides aber ist unvereinbar. Feigheit und TrĂ€gheit raten das eine, NĂŒchternheit und Freiheit das andere. Denn ehe solche Prophezeiung oder Warnung ein Mittelbares, Wort oder Bild, ward, ist ihre beste Kraft [75] schon abgestorben, die Kraft, mit der sie uns im Zentrum trifft und zwingt, kaum wissen wir es, wie, nach ihr zu handeln. VersĂ€umen wir's, dann, und nur dann, entziffert sie sich. Wir lesen sie, Aber nun ist es zu spĂ€t. Daher, wenn unversehens Feuer ausbricht oder aus heiterm Himmel eine Todesnachricht kommt, im ersten stummen Schrecken ein SchuldgefĂŒhl, der gestaltlose Vorwurf: Hast du im Grunde nicht darum gewuĂt? Klang nicht, als du zum letzten Male von dem Toten sprachst, sein Name in deinem Munde schon anders? Winkt dir nicht aus den Flammen Gestern-Abend, dessen Sprache du jetzt erst verstehst? Und ging ein Gegenstand, der dir lieb war, verloren, war dann nicht Stunden, Tage vorher schon ein Hof, Spott oder Trauer, um ihn, der es verriet? Wie ultraviolette Strahlen zeigt Erinnerung im Buch des Lebens jedem eine Schrift, die unsichtbar, als Prophetie, den Text glossierte. Aber nicht ungestraft vertauscht man die Intentionen, liefert das ungelebte Leben an Karten, Spirits, Sterne aus, die es in einem Nu verleben und vernutzen, um es geschĂ€ndet uns zurĂŒckzustellen; betrĂŒgt nicht ungestraft den Leib um seine Macht, mit den Geschicken sich auf seinem eigenen Grund zu messen und zu siegen. Der Augenblick ist das kaudinische Joch, unter dem sich das Schicksal ihm beugt. Die Zukunftsdrohung ins erfĂŒllte Jetzt zu wandeln, dies einzig wĂŒnschenswerte telepathische Wunder ist Werk leibhafter Geistesgegenwart. Urzeiten, da ein solches Verhalten in den alltĂ€glichen Haushalt des Menschen gehörte, gaben im nackten Leibe ihm das verlĂ€Ălichste Instrument der Divination. Noch die Antike kannte die wahre Praxis, und Scipio, der Karthagos Boden strauchelnd betritt, ruft, weit im Sturze die Arme breitend, die Siegeslosung: Teneo te, Terra Africana! Was Schreckenszeichen, UnglĂŒcksbild hat wer-[76]den wollen, bindet er leibhaft an die Sekunde und macht sich selber zum Faktotum seines Leibes. Eben darin haben von jeher die alten asketischen Ăbungen des Fastens, der Keuschheit, des Wachens ihre höchsten Triumphe gefeiert. Der Tag liegt jeden Morgen wie ein frisches Hemd auf unserm Bett; dies unvergleichlich feine, unvergleichlich dichte Gewebe reinlicher Weissagung sitzt uns wie angegossen. Das GlĂŒck der nĂ€chsten vierundzwanzig Stunden hĂ€ngt daran, daĂ wir es im Erwachen aufzugreifen wissen.
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