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Die Luft war stickig, schwer wie ein feuchter Mantel. Der Sommer hatte seine klammen Finger in jede Ritze der alten HĂŒtte geschoben. Staub und Schatten verbĂŒndeten sich in den Ecken, wĂ€hrend Dianne auf dem harten Holzstuhl saĂ. Das Notizbuch lag vor ihr â ein leeres Grab, das auf seine FĂŒllung wartete.
Ein schwacher Lichtstreifen schlich sich durch die zugezogenen VorhĂ€nge. Er strich ĂŒber den Schreibtisch mit seinen narbigen Kanten, glitt ĂŒber das Bett, das nie wirklich einlud, und blieb schlieĂlich beim Spiegel hĂ€ngen. Ein alter Spiegel, dessen trĂŒbes Glas Geheimnisse schluckte, statt sie zu enthĂŒllen. Der Rahmen, verziert mit seltsamen Schnitzereien, erinnerte an tote Schlangen â geduldig, wartend.
Dianne schob eine klebrige HaarstrĂ€hne hinters Ohr. Ihre Haut brannte, als hielte sie noch die Hitze der Stadt fest. Beton, AbsĂ€tze, das Summen von Stimmen, die ihr lĂ€ngst egal waren. Das hatte sie hinter sich gelassen. Hier drauĂen gab es nur Ruhe.
Doch die Stille in der HĂŒtte war anders. Sie war dicht, hatte Kanten, die sich in ihre Gedanken schnitten.
Der Stift in ihrer Hand lag kalt und schwer wie ein Skalpell. Die Spitze kratzte ĂŒber das Papier, ohne dass Worte folgten. Nur Linien, schief und sinnlos. Ihre Finger verkrampften sich, die Knöchel wurden weiĂ. Ein Seufzen entglitt ihr, ein dĂŒnner Hauch, der sich in der Stille verlor.
Sie lehnte sich zurĂŒck, der Stuhl Ă€chzte. An der Decke krochen dunkle Flecken wie Landkarten unbekannter Reiche. Sie könnte ihnen Namen geben, Geschichten spinnen. Doch ihre Fantasie war ein ausgetrockneter Brunnen, aus dem nur Staub rieselte.
Ihr Blick zuckte zum Spiegel.
Ein Reflex. Ein schneller Blick ĂŒber die Schulter, wie ein Dieb auf frischer Tat. Der Spiegel stand still, aber etwas stimmte nicht. War das Licht im Raum dunkler geworden? Oder hatte sich der Spiegel verĂ€ndert?
Sie biss sich auf die Unterlippe. Metallisch. Kupfrig.
Ein Zittern lief durch ihre Fingerspitzen, wanderte bis zu den Schultern. »Nur Einbildung. Nur ein Spiegel.« Aber die Luft war jetzt dichter, klebriger. Ihre eigenen Gedanken drĂ€ngten gegen die SchĂ€deldecke, drĂ€ngten nach drauĂen.
Der Spiegel wartete.
Sie zwang sich, den Blick zu halten. Ihr eigenes Abbild sah zurĂŒck â blasse Haut, dunkle Augenringe, Lippen, die sich kaum noch ans LĂ€cheln erinnerten. Doch da war mehr. Ein Schimmer in den Pupillen, ein Schatten in den Winkeln des Glases. Etwas lauerte dort, auĂerhalb ihres VerstĂ€ndnisses.
Ein Herzschlag verging.
Ein zweiter.
Der Spiegel war leer.
Ein kalter Knoten zog sich in ihrem Bauch zusammen. Die Luft hatte ihre Konsistenz geĂ€ndert â weniger ein Hauch, mehr ein Gewicht. Sie hörte das Summen des Blutes in ihren Ohren. Ihre Zunge fĂŒhlte sich rau an.
Sie zwang die Augen zu, atmete ein, aus. Langsam. Der Rhythmus des Lebens, ein Metronom, das sie einhalten musste.
Ein Knacken lieà ihre Lider flattern. Holz, das Àchzt. Oder etwas anderes? Ein lebendiges GerÀusch, das direkt aus den WÀnden zu kommen schien.
Sie zwang die Lider auseinander. Der Spiegel stand still. Das Glas starrte sie an, trĂŒb und unschuldig. Der Wind seufzte durch die BlĂ€tter drauĂen, ein heiseres, flĂŒsterndes GerĂ€usch. Dianne schob die Vorstellung beiseite, dass es Worte waren, die der Wind sprach.
Ihr Magen verkrampfte sich. Sie schloss das Notizbuch mit einem dumpfen Schlag. Ein Urteil. Ein Ende. DrauĂen raschelten die BlĂ€tter weiter. Dieses Mal klang es wie ein Lachen.
Sie saĂ wie eingefroren. Ihre Fingerkuppen berĂŒhrten den rauen Einband des Notizbuchs, doch die KĂ€lte kroch von innen. Eine innere DĂ€mmerung, die sich kaum von der Ă€uĂeren unterscheiden lieĂ. Der dumpfe Schlag des geschlossenen Buches hallte noch in ihrem Kopf nach, ein Echo, das sich weigerte zu verblassen.
Langsam lieĂ sie den Blick durch den Raum wandern. Die Schatten hatten sich verĂ€ndert. Sie schienen voller, dichter. Die Ecken der HĂŒtte wirkten tiefer, als hĂ€tten sie plötzlich beschlossen, mehr Raum einzunehmen...
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